Neben der Qualität ist vor allem die Aktualität eine wichtige Voraussetzung für eine zukunftsfähige Berufsbildung. Reformen und Innovationen müssen deshalb ihre ständigen Begleiterinnen sein. Auch die gesetzliche Grundlage der Berufsbildung – das Berufsbildungsgesetz BBG – ist hin und wieder zu hinterfragen und zu revidieren. Am diesjährigen Spitzentreffen kam man daher überein, eine gezielte Weiterentwicklung der Berufsbildung ins Auge zu fassen. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, trägt diese Entscheidung gerne mit und leistet einen ersten Beitrag dazu.
Gemäss Travail.Suisse existieren verschiedene Themenfelder, die bei einer Weiterentwicklung der Berufsbildung vertieft angeschaut werden müssen. Hier eine erste Auswahl:
1. Das gegenwärtige Berufsbildungsgesetz (BBG) ist stark vom Lehrstellenmangel geprägt. Zur Zeit seiner Erschaffung war dies das vordringlichste Problem. Ideen wurden daher zu Recht im Hinblick auf die Lösung des Lehrstellenmangels entwickelt. Heute hingegen ist es wichtig, dass der Fokus nicht hauptsächlich auf die Jugendlichen, sondern auf die Jugendlichen und Erwachsenen gelegt wird. Bei der Weiterentwicklung der Berufsbildung müssen Ideen entwickelt werden, wie neben den Jugendlichen auch die Erwachsenen in ihren unterschiedlichen Situationen (Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung, Erwachsene vor dem Wiedereinstieg, Erwachsene nach einem Berufsfeldwechsel, Erwachsene vor einer beruflichen Neupositionierung nach 40, Arbeitnehmende über 50, horizontale Karrieren) mit Hilfe der Berufsbildung ihren Weg finden.
2. Das wohl schlechteste Kapitel im gegenwärtigen Berufsbildungsgesetz ist Kapitel 7: Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung. Dieses Kapitel spiegelt in keiner Art und Weise die Wichtigkeit dieser Dienstleistung, das breite Aufgabenfeld dieser Tätigkeit und notwendige Vernetzungen dieser Leistungen wider. Es ist nicht getan mit Information und Beratung, wie es das Gesetz vorgibt. Es braucht auch Begleitung und unterstützende Angebote zum Beispiel im Hinblick auf eine Nachholbildung oder eine berufliche Neupositionierung. Zudem fehlen Bestimmungen, welche die Aufgaben im Hinblick auf die Eltern der Jugendlichen in der Berufswahlphase wie auch im Hinblick auf die Lehrer und Lehrerinnen der Volksschule definieren. Es fehlt – kurz gesagt – im heutigen Gesetzestext eine auf die Zukunft gerichtete Mission für diese Dienste.
3. Am 1. Januar 2017 tritt das erste eidgenössische Weiterbildungsgesetz WeBiG in Kraft. Es ist ein so genanntes Rahmengesetz und steht als solches über dem Berufsbildungsgesetz, soweit dieses Fragen der Weiterbildung regelt. In der Berufsbildung steht daher die Aufgabe an, die Rahmenregelungen des WeBiG ins Berufsbildungsgesetz zu übertragen. Dazu gehört insbesondere auch die Frage, wie die Berufsbildung die Ziele des WeBiG (vgl. Art. 4) konkret umsetzt, zum Beispiel das Ziel, Voraussetzungen zu schaffen, „die allen Personen die Teilnahme an Weiterbildung ermöglichen“. Solche strategischen Ziele und die dazugehörigen Massnahmen fehlen heute im BBG.
4. Bei der Ausarbeitung des BBG von 2002 wurde unter anderem über die Finanzierung gestritten, insbesondere auch über die Kostenbeteiligung des Bundes an den Aufwendungen der öffentlichen Hand für die Berufsbildung. Heute beträgt diese 25%. 75% der Kosten tragen die Kantone. Dabei ist das nationale Element zentral wichtig für die Berufsbildung, wichtiger als das Verhältnis 25/75 andeutet. So hängt zum Beispiel der Wert der Abschlüsse der Berufsbildung stark davon ab, dass diese national geregelt sind. Und es ist unbestritten, dass bei der Weiterentwicklung der Berufsbildung zwar der Föderalismus gepflegt und erhalten werden muss (den Berufsbildungsämtern und Berufsfachschulen sei Dank für ihr grosses Engagement in den Kantonen und Regionen), dass sich aber trotzdem und vor allem bei den Schnittstellen öffentliche Hand–Wirtschaft/Betriebe/Branchen vermehrt eidgenössische Regelungen aufdrängen. Es ist daher nicht mehr als angebracht, dass der Bund in Zukunft auch mehr finanzielle Verantwortung für die Berufsbildung übernehmen soll.
5. Achtet man nur auf das BBG, so fehlt der Berufsbildung ein eigentliches strategisches Steuerorgan der Verbundpartner, die eidgenössische Berufsbildungskommission hat nur beratende Funktion. Die Berufsbildung hat sich bisher damit beholfen, dass sie dieses Manko über das informelle nationale Spitzentreffen Berufsbildung oder über verbundpartnerschaftlich zusammengesetzte Steuer-gruppen korrigiert hat – und zwar und das muss an dieser Stelle gewürdigt werden recht erfolgreich. Trotzdem gilt es, die Frage nach einer zukünftigen verbundpartnerschaftlichen Gouvernance der Berufsbildung zu stellen. Gibt es andere gesetzliche Formen als eine eidgenössische Berufsbildungs-kommission? Was könnte man von der Schweizerischen Hochschulkonferenz SHK für die Berufs-bildung lernen, auch wenn klar ist, dass ihre Form und ihre Struktur nicht 1:1 übernommen werden kann?
Das sind fünf Vorschläge für zu diskutierende Themenfelder. Die Liste wird in einem nächsten Artikel mit weiteren Themen ergänzt.