Die Frauen sind zwar auf dem Arbeitsmarkt immer präsenter, aber unter den Entscheidungsträgern und in den Führungsetagen der Unternehmen immer noch untervertreten. Die Organisation Travail.Suisse bemängelt das schon seit etwa zehn Jahren in ihrer jährlichen Managerlohnstudie. Die Ungeduld wächst, und die Quotenfrage kommt in der Schweiz wie auch in Europa an mehreren Fronten wieder mit Nachdruck auf. Mit einem Perspektivenwechsel könnten pragmatische, verträgliche Massnahmen mit echten Handlungsmöglichkeiten getroffen werden, um die Gleichstellung in der Wirtschaft voranzutreiben.
Das World Economic Forum klassiert die Schweiz in seinem «Gender Gap Report 2013» 1 unter 136 untersuchten Ländern auf dem 9. Rang. Unser Land lag 2007 noch auf dem 40. und ein Jahr später bereits auf dem 14. Rang. 2010 machte es noch einmal vier Plätze gut und stiess auf den 10. Rang vor. Dieses Jahr liegt es nun noch einen Platz weiter vorne. Dieses Abschneiden ist erfreulich, muss aber nuanciert betrachtet werden: Die Frauen haben in der Schweiz zwar formell die Möglichkeit, die Karriereleiter hochzusteigen, aber unser Land erreicht lediglich den 58. Rang in Bezug auf die tatsächlich vorhandenen weiblichen «Legislators, Senior Officials and Managers» und den 23. Platz im Bereich Partizipation und wirtschaftliche Möglichkeiten. Man darf nicht vergessen, dass die Rangliste des WEF Parameter berücksichtigt, die in unseren entwickelten Ländern schon lange selbstverständlich sind, wie der Zugang zu medizinischer Versorgung oder Bildung. Gerade aufgrund unseres Entwicklungsstandes dürfen wir uns nicht nur an diesem sehr schönen 9. Rang festhalten und davon ausgehen, dass hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter alles gut ist. Das gilt vor allem in der Wirtschaft und der Politik.
140 Jahre auf die Gleichstellung warten?
Frauen sind in Konzernleitungen und Verwaltungsräten selten. 2011 hat Travail.Suisse die Ergebnisse ihrer jährlichen Managerlohnstudie unter dem Blickwinkel der Gleichstellung kommentiert 2 . Nur jedes 20. Konzernleitungsmitglied ist eine Frau. Nur gut ein Drittel der 27 untersuchten Unternehmen haben eine Frau in der Konzernleitung. In den Verwaltungsräten sieht die Lage ähnlich aus. Dort beträgt der Frauenanteil 13.4%, was gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 0.3 Prozentpunkte bedeutet.
Stéphanie Bäumler fasste die Situation wie folgt zusammen: «Seit 2002 hat sich der Frauenanteil in der Konzernleitung zwar von 2.36 auf 5.20 Prozent verdoppelt. Das Wachstum entspricht aber mageren 0.3 Prozent pro Jahr. Im Verwaltungsrat gibt es eine Zunahme von 4.8 Prozent in neun Jahren, was einer jährlichen Wachstumsrate von 0.5 Prozent entspricht. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, dauert es noch 68 Jahre bis zu einer ausgeglichenen Vertretung der Geschlechter in den Verwaltungsräten. In den Konzernleitungen würde es noch ganze 141 Jahre dauern, also bis ins Jahr 2153.»
In ihrer von der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen in Auftrag gegebenen Studie 3 hält Regula Kägi-Diener, Dr. iur. und Rechtsprofessorin, fest, dass bei den 229 börsenkotierten Unternehmen mit Sitz in der Schweiz der Frauenanteil in den Verwaltungsräten lediglich 9% erreicht, wobei die grösseren, international orientierten Unternehmen eher bereit sind, Frauen zu nominieren. Die Professorin schliesst daraus, dass andere Länder, wo der gesetzliche Rahmen Frauenquoten vorsieht, die Praxis dieser Unternehmen beeinflussen, so dass sie eine bessere Bilanz in Bezug auf die Gleichstellung in den Führungsetagen aufweisen.
Situation in den europäischen Ländern: Die Quoten führen zu Ergebnissen
Mehrere Länder haben bereits in ihrer Gesetzgebung obligatorische Quoten eingeführt, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird: Norwegen, Belgien, Frankreich und Italien. Quotenregelungen ohne Sanktionen («soft quotas») gelten in Spanien, den Niederlanden und Finnland. Regeln für staatliche Unternehmen wurden in Dänemark, Finnland, Griechenland, Österreich und Slowenien eingeführt. Lediglich Grossbritannien und Deutschland haben sich für die Methode der freiwilligen Verpflichtung der Unternehmen entschieden.
Der 2011 veröffentlichte Bericht der Europäischen Kommission 4 , der sich insbesondere mit dem «Business Leadership» befasst, kommt zum Schluss, dass die Festlegung von Quoten eine gute Massnahme ist, mit der Ziele erreicht werden können. Derselbe Bericht betont jedoch, dass es wichtig ist, daneben noch weitere Massnahmen wie Schulung talentierter Frauen, Pflege einer Datenbank über qualifizierte, führungsbereite Frauen usw. zu treffen.
An seiner Plenarsitzung vom 20. November dieses Jahres stimmte das europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit (459 zu 148 Stimmen bei 81 Enthaltungen) für eine Richtlinie, welche die börsenkotierten Gesellschaften verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bis 2020 mindestens 40% ihrer Aufsichtsratsmitglieder Frauen sind. Die Frist für öffentliche Unternehmen ist noch kürzer (2018). Sanktionen sind vorzusehen. Die Richtlinie muss jetzt vom Ministerrat verabschiedet werden. Es ist dann Sache der Mitgliedstaaten, die Bestimmung umzusetzen.
Aktuelles Thema in der Wintersession des Parlaments
2012 gab es mehrere parlamentarische Vorstösse zur Quotenfrage. Zwei davon – parlamentarische Initiativen der Baselbieter Sozialdemokratin Susanne Leutenegger Oberholzer – fordern die Festlegung derselben Quote wie im europäischen Parlament: 40% Frauen in den Verwaltungsräten bundesnaher und börsenkotierter Unternehmen. Firmen, die bereits an der Börse kotiert sind, soll bis zur Erreichung der Quote die Börsenzulassung entzogen werden. Diese Vorschläge werden in der Wintersession des Parlaments behandelt.
Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen erarbeitet derzeit eine Stellungnahme mit Empfehlungen zur Quotenfrage. Als Grundlage für diese Arbeit dient die vertiefte Studie von Prof. Dr. Regula Kägi-Diener.
Quoten und «reservierte» Sitze: Wird mit gleichen Ellen gemessen?
Die Idee einer Mindestfrauenquote zur Förderung der Gleichstellung in den Führungsetagen der Unternehmen ist bereits vor mehreren Jahrzehnten aufgekommen. Sie wird seither regelmässig debattiert und erhitzt die Gemüter der Verfechter demokratischer oder wirtschaftlicher Freiheit, die diesen Grundsatz über die angemessene Vertretung der Hälfte der Bevölkerung stellen.
Interessant ist auch die Feststellung, dass das Konzept der «reservierten Sitze» nie ein Problem darstellte: Dieses Konzept liess nie Zweifel an den Kompetenzen der Personen aufkommen, die solche Stellen besetzen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Amt des Generaldirektors des Internationalen Währungsfonds, das einem Europäer «vorbehalten» ist (obwohl Europa nur 32% der Stimmen hat). Niemand hat die beruflichen Fähigkeiten von Christine Lagarde, Dominique Strauss-Kahn oder Rodrigo Rato nur deshalb in Frage gestellt, weil sie Europäer sind. Ebenso kritisiert niemand wegen der Nationalität die Kompetenzen von Weltbankdirektor Jim Yong Kim, dessen Position traditionellerweise einem Amerikaner «vorbehalten» ist.
Es ist festzustellen, dass nicht überall mit gleichen Ellen gemessen wird. Wieso soll eine Quote zwingend bedeuten, dass Stellen, die eher dem einen als dem anderen Geschlecht vorbehalten sind, mit unfähigen Personen besetzt werden?
Einige Stossrichtungen für pragmatische und verträgliche, aber effiziente Lösungen
Verwaltungsratsmitglieder können einfacher erneuert werden als Konzernleitungsmitglieder, denn die Amtsdauer ersterer ist zeitlich beschränkt. Deshalb könnte man eine Lösung wählen, die bezüglich des zu erreichenden Ziels einen Unterschied zwischen börsenkotierten Unternehmen und anderen Firmen macht. Die Grösse des Unternehmens hat einen Einfluss auf den Handlungsspielraum: Sanktionen könnten nur grosse Firmen mit über 250 Personen betreffen. Ebenfalls zu unterscheiden ist zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen. Für bundeseigene oder bundesnahe Unternehmen müssen striktere, weniger flexible Regeln als für andere Firmen gelten.
Das Endziel muss klar sein und auf die europäische Regelung abgestimmt werden (40% Frauen). Zudem ist eine Frist festzulegen, innert derer das Ziel erreicht werden muss. Zwischenschritte bieten die Möglichkeit, die vorgesehenen Sanktionen zu mildern, um Unternehmen zu belohnen, die sich ernsthaft bemühen. Die gewählte Lösung muss von Anfang an Kontrollen und Sanktionen vorsehen, denn ohne diese bleibt jede Massnahme ein frommer Wunsch ohne Wirkung. Ausserdem müssen gleichzeitig flankierende Massnahmen getroffen und Anreize geschaffen werden, damit der weibliche Nachwuchs geschult und gecoacht wird. Nur sehr wenig fehlt den zahlreichen Frauen mit ausgezeichneter Ausbildung und angemessener Erfahrung, die sich bereits bewährt haben.
Quoten flössen Angst ein und stossen durch Unkenntnis auf Ablehnung. Wenn man einen Perspektivenwechsel zulässt und sich der Realität und den Zahlen stellt, findet man ein effizientes und verträgliches Mittel, um – endlich – eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter auf allen Hierarchiestufen der Unternehmen zu gewährleisten.
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p(footnote). 1 http://www3.weforum.org/docs/WEF_GenderGap_Report_2013.pdf
2 Stéphanie Bäumler, Frauen in Konzernleitungen und Verwaltungsräten bleiben rar, Medienservice vom 4. Juni 2012.
3 Prof. Dr. iur Regula Kägi-Diener, «Frauenquoten in der Wirtschaft». Herbst 2013, im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen EKF.
4 European Commission, Justice, «Report on Progress on Equality between Women and Men in 2010 – The gen-der balance in business leadership», Luxemburg, 2011