Seit Jahren wird in der Schweiz um die Höhe des Mindestzinssatzes gestritten. Er sollte der Entwicklung „Anlagen“ entsprechen. Weil er zum Voraus festgelegt wird, wird er mit Hinweis auf künftige Risiken jedoch tendenziell zu tief festgelegt. Davon profitieren die Versicherer. Wenn sie den Arbeitnehmenden wenig Zins gutschreiben müssen, können sie ihren Aufwand minimieren und den Gewinn erhöhen. Es ist deshalb ein Systemwechsel angebracht: Der Mindestzins soll neu gegen Ende des laufenden Jahres festgelegt werden.
Der Bundesrat hat sich bei der Festlegung des Mindestzinssatzes an der Entwicklung „marktgängiger Anlagen“ zu orientieren. Zum Festlegungszeitpunkt im Herbst wird jeweils ein Jahr zurück geschaut, um die Renditemöglichkeiten der Vorsorgeeinrichtungen zu beurteilen. Der Zinssatz gilt jedoch für das Folgejahr. Für das laufende Jahr wurde der Mindestzins auf dem Allzeittief von 1.5 Prozent belassen. Die massgebenden Renditen in der Pensionskassenwelt lagen 2012 jedoch bei 6 bis 7 Prozent. Für 2014 hat der Bundesrat kürzlich nur eine minimale Erhöhung auf 1.75 Prozent beschlossen. Auch hier waren die zu Grunde liegenden Werte weiterhin gut: Der Pictet-Index 93 mit 25 Prozent Aktienanteil lag Ende Oktober 2013 mehr als 4 Prozent höher als zu Jahresbeginn 1 . Hätte der Bundesrat zusätzlich noch den Nachholbedarf berücksichtigt, so wäre eine deutlichere Anhebung unumgänglich gewesen.
Verweis auf unsichere Zukunft sorgt für tiefe Zinsen
Die Argumentation ist immer gleich: Bei einem guten zurückliegenden Jahr wird auf die künftigen Risiken an den Finanzmärkten hingewiesen. Diese verunmöglichten eine Erhöhung des Mindestzinssatzes, wird behauptet. Ist das zurückliegende Jahr hingegen schlecht gelaufen, wird mit Hinweis darauf der Mindestzinssatz gesenkt. In dieser Logik endet das Ganze in einer Spirale nach unten. Es gibt durchaus Gründe für eine vorsichtige Festlegung des Mindestzinssatzes. Dieser soll auch von denjenigen Vorsorgeeinrichtungen getragen werden können, die mit wenig Aktien und Immobilien anlegen. Dies ist heute jedoch klar der Fall. Die heutigen Formeln berücksichtigen Anlagen in Aktien und Immobilien nur sehr moderat und nicht im Ausmass der gängigen Anlagen-Allokation der meisten Pensionskassen. Noch weiter gehende Massnahmen, wie z.B. ein Sicherheitsabschlag auf langfristigen, durchschnittlichen Obligationenzinsen sind jedoch nicht haltbar. Der Mindestzinssatz kann jedes Jahr neu festgelegt werden. Im Falle einer Baisse an den Finanzmärkten kann schnell reagiert werden. Es ist deshalb nicht legitim, mit Verweis auf die unsichere Zukunft den Mindestzinssatz tief zu halten. Sonst wird das Alterskapital der Versicherten systematisch zu tief verzinst.
Lebensversicherer profitieren von tiefen Mindestzinsen
Bei nicht gewinnorientierten Pensionskassen kann ein tiefer Mindestzinssatz in Kombination mit hohen Renditen dazu führen, dass der Deckungsgrad oder die Wertschwankungsreserven erhöht werden. Die Versicherten sind damit besser gegen mögliche Sanierungsmassnahmen geschützt. Anders sieht der Fall bei den gewinnorientierten Lebensversicherungsgesellschaften aus – sie wollen mit der zweiten Säule Geld verdienen. Sie legen das Geld der Versicherten gewinnbringend an und müssen den Versicherten im Gegenzug einen Zins auf dem Altersguthaben gut schreiben. Ist der Mindestzins jedoch im Vergleich zu den Renditen zu tief angesetzt, entstehen Überschüsse, welche die Gewinne der Versicherungsgesellschaften alimentieren. Ein gutes Beispiel ist das letzte Jahr. 2012 erwirtschafteten die Lebensversicherer Nettokapitalerträge von über 5.2 Mrd. Franken. Weil der Mindestzinssatz auf dem Rekordtief von 1.5 Prozent lag, resultierte demgegenüber nur ein Aufwand von gut 3 Mrd. Franken. Das Ergebnis von über 2 Mrd. Franken erlaubte es den Lebensversicherern nebst den Rückstellungen auch die Gewinne zu alimentieren. 2 Während also bei autonomen Pensionskassen die Überschüsse grundsätzlich im System der Altersvorsorge bleiben, werden bei den Stiftungen der Lebensversicherer damit auch die Aktionäre bedient bzw. es werden Kapitalpolster beim Versicherer angelegt. Noch mehr als andere sind deshalb die Versicherten der Sammelstiftungen der Lebensversicherer auf einen genug hohen Mindestzinssatz angewiesen.
Es braucht einen Systemwechsel
Ein Auseinanderdriften von Renditeentwicklung und Mindestzinssatz schwächt das Vertrauen in die zweite Säule. Um die Festlegung des Mindestzinssatzes nicht den Spekulationen über die künftige Entwicklung der Finanzmärkte auszusetzen, sollte der Mindestzinssatz neu gegen Ende des jeweils laufenden Jahres in Kenntnis der Renditeentwicklung festgelegt werden (ex-post). Wenn die Versicherten so in guten Jahren mit einem höheren Mindestzinssatz an der Renditeentwicklung beteiligt werden, werden sie auch bereit sein, bei einer Baisse die Kosten mitzutragen. Der Bundesrat hat in Aussicht gestellt, dass er einen solchen Systemwechsel ernsthaft prüft. Soll der Mindestzinssatz seine Funktion zur Erreichung des verfassungsmässigen Leistungsziels behalten, ist ein solcher Schritt für Travail.Suisse dringend notwendig.