Die am 3. November 2011 lancierte Kampagne «Recht ohne Grenzen. Klare Regeln für Schweizer Konzerne.» wird von Travail.Suisse vorbehaltlos unterstützt. Denn klare Regeln sorgen insbesondere dafür, dass die Arbeitnehmenden ihre Gewerkschaftsrechte auch in in- und ausländischen Tochtergesellschaften der Schweizer Konzerne wahrnehmen können. Wenn diese Rechte garantiert und durchgesetzt werden, sind freiwillige Verhaltenskodizes, die in erster Linie dem Image von Grosskonzernen dienen, überflüssig.
Die edlen Erklärungen vieler Konzerne über ihre soziale Verantwortung sind häufig meilenweit entfernt von der Realität der Arbeitnehmenden in diesen Unternehmen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist Triumph International, die ihren Sitz in der Schweiz hat1. Einerseits hebt der Konzern auf seiner Website seine hohen ethischen und sozialen Standards hervor; andererseits wurden im Juni 2009 Tausende von Personen in Tochtergesellschaften in Thailand und später auch auf den Philippinen entlassen. Es handelte sich dabei vor allem um Mitarbeitende, die einer Gewerkschaft angehörten. Ein Produktionsstandort, an dem das Personal nicht gewerkschaftlich organisiert ist, war nicht betroffen. Auf den Philippinen berichteten Entlassene, dass Triumph ihnen Stellen bei Zulieferern angeboten habe, um ihre bestehenden Rechte zu umgehen und sie in prekäre Arbeitsverhältnisse zu drängen.
Die Gewerkschaften reichten Anfang Dezember 2009 beim Nationalen Kontaktpunkt der Schweiz (NKP) Klage ein. Dieser ist für die Umsetzung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zuständig. Da die Schweiz jedoch ihren NKP lediglich als Dialogplattform und Schlichtungsstelle betrachtet, hat das Seco – dem der NKP angegliedert ist – nicht einmal Stellung dazu genommen, ob die Leitsätze verletzt wurden. Leider bringen die revidierten Leitsätze, die Ende Mai 2011 von den 30 OECD-Mitgliedsländern und 12 weiteren Staaten angenommen wurden, keine wesentlichen Verbesserungen in der Umsetzung der Leitsätze, da die NKP weiterhin nicht verpflichtet sind, zu einem Fall Stellung zu nehmen. Zudem sind keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen vorgesehen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen2.
Dieses Beispiel zeigt, dass freiwillige Verhaltenskodizes von Unternehmen, aber auch die Instrumente internationaler Organisationen (wie der Globale Pakt der UNO) oder mehrerer Staaten (OECD-Leitsätze) nur wirksam sind, wenn sie Verfahren beinhalten, mit denen Verfehlungen beanstandet und sanktioniert werden können.
Im Handel gelten verbindlichere Regeln als bei den Arbeitsnormen
Es ist erstaunlich, dass zwar Handels- oder Wirtschaftsdelikte von Unternehmen wie Geldwäscherei und Korruption geahndet werden können, dass aber die Missachtung von Arbeitsbestimmungen im Allgemeinen ungestraft bleibt. So kann die Welthandelsorganisation (WTO) Handelssanktionen gegen ein Mitglied ergreifen, das sich nicht an die Regeln hält. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) dagegen, die für die Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeitsnormen zuständig ist, kann bei Missachtungen lediglich Empfehlungen abgeben.
Doch die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis verstärkt sich auch bei den Instrumenten zur Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen, wenn nur der Inhalt, nicht aber die Umsetzung verbessert wird. Die Revision der OECD-Leitsätze zeigt dies nur zu gut: Sie bringt inhaltliche Fortschritte (neues Kapitel zu den Menschenrechten, Verbesserungen im Kapitel zu den Arbeitsnormen, Anerkennung der Verantwortung des Hauptunternehmens gegenüber Zulieferern), aber keine konsequentere Durchsetzung, da noch immer keine Verpflichtung besteht, Verstösse zu anerkennen oder gar Sanktionen zu erlassen. Die Folge: Der Nutzen und die Anwendung der Leitsätze ist zunehmend fraglich, wenn nur der Inhalt, nicht aber die Durchsetzung verbessert wird.
Parallelen zu den flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr
Aufgrund dieser Situation lassen sich insofern Parallelen zu den flankierenden Massnahmen ziehen, als Verstösse schwierig zu ahnden sind, solange die Unternehmen nicht solidarisch für ihre Zulieferer verantwortlich sind.
Aus diesem Grund unterstützt Travail.Suisse aufgrund derselben Überlegungen wie beim freien Personenverkehr die Hauptforderung der Kampagne «Recht ohne Grenzen», die darin besteht, dass ein Konzern für seine Tochterunternehmen rechtlich gesehen verantwortlich ist. Es soll Druck ausgeübt werden, damit in Schweizer Konzernen und insbesondere in deren ausländischen Tochterunternehmen die Gewerkschaftsrechte besser und mit weniger Repressionsrisiken ausgeübt werden können.
Drei konkrete Forderungen
Es braucht eine kritischere Haltung gegenüber den vielen individuellen Verhaltenskodizes, die keinerlei Kontrollen unterliegen, aber auch gegenüber den Grundsätzen oder Empfehlungen, die auf Regierungsebene beschlossen, aber nicht durchgesetzt werden.
In erster Linie sollten die vorhandenen Instrumente verbindlicher ausgestaltet werden:
1. Die Nationalen Kontaktpunkte für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen müssen zu den vorgebrachten Fällen Stellung nehmen und nicht nur als Schlichtungsstelle wirken. Als letztes Mittel müssen sie auch Sanktionen verhängen können.
2. Die Arbeitsverhältnisse sollen nicht durch unternehmensinterne oder andere unverbindliche Verhaltenskodizes geregelt werden, sondern durch verbindliche Normen, die unter anderem die freie Ausübung der Gewerkschaftsrechte beinhalten. Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen sind Grundinstrumente, mit denen die Arbeitnehmenden menschenwürdige Arbeitsbedingungen erkämpfen und einen gerechten Anteil an den Produktionsgewinnen einfordern können. Die ILO sollte wie die WTO im Wirtschaftsbereich zumindest in schweren Fällen die Rolle eines Gerichts spielen und Sanktionen verhängen können. Eine Verletzung der Gewerkschaftsrechte bewirkt einen Wettbewerb nach unten und ist nicht das richtige Mittel für ein Land, das eine nachhaltige Entwicklung anstrebt. Lohnerhöhungen, die Produktivitätssteigerungen Rechnung tragen und im Rahmen von Kollektivverhandlungen erreicht werden, sind kein Wachstumshindernis, sondern fördern im Gegenteil das Wachstum und tragen gleichzeitig zum sozialen Frieden und zur Stabilität bei.
3. Weil Kapitalflüsse ohne Grenzen zirkulieren können, nicht aber die Arbeitnehmenden (mit Ausnahme gewisser Weltregionen mit freiem Personenverkehr), ist das Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit gestört. Deshalb ist es im Rahmen der Kampagne «Recht ohne Grenzen» auch wichtig, die Möglichkeit grenzüberschreitender Kollektivverhandlungen einzuführen, damit Konzernleitungen die Arbeitnehmenden in einem Land oder einer Tochtergesellschaft nicht so einfach gegen andere ausspielen können. Dazu braucht es neue Rahmenbedingungen für europäische oder globale Arbeitnehmervertretungen, wie sie in einigen international tätigen Unternehmen bereits bestehen: Diese sollen gefördert werden und mehr Kompetenzen erhalten.
1Detailliertere Informationen zu diesem Fall unter www.rechtohnegrenzen.ch, Fallbeispiele
2Siehe Artikel im Pressedienst von Travail.Suisse Nr. 11 vom 29. August 2011 zur Revision der OECD-Leitsätze für internationale tätige Unternehmen.