Zu Beginn der Herbstsession hätte es die grosse Kammer des Parlamentes in der Hand gehabt, mehrere Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verabschieden: Adoptionsurlaub, Vaterschaftsurlaub, nach einheitlichen Kriterien geführte Tagesschulen. Sie wurden alle abgelehnt. Einzig der Erarbeitung eines neuen Berichts zur aktuellen Situation der Familien in der Schweiz stimmte der Nationalrat zu. Dies zeigt, wie sehr sich die Politikerinnen und Politiker, die notabene vom Volk gewählt wurden, um den Willen eben dieses Volkes foutieren, das sich an der Urne für konkrete Massnahmen zu Gunsten einer Familienpolitik des Bundes ausgesprochen hat.
Die Familienpolitik hat die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Bundesbern in der aktuellen Herbstsession einmal mehr beschäftigt. Im vergangenen März wurde an der Urne über einen Verfassungsartikel abgestimmt, der die Grundlagen für eine Familienpolitik des Bundes schaffen sollte. Dieser Familienartikel scheiterte zwar ganz knapp am Ständemehr, aber eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sprach sich dafür aus. Damit hatte das Volk ein klares Zeichen gesetzt, aber die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat hat sich leider erneut entschieden, diesem keine Beachtung zu schenken. Dabei sind die Bedürfnisse der Erwerbstätigen bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben nach wie vor akut.
Vaterschafts- und Adoptionsurlaub erneut abgelehnt
Der Tessiner CVP-Nationalrat Marco Romano reichte eine Motion ein, in der er die Gleichbehandlung von Müttern, die ein Kind adoptieren, und solchen, die selbst ein Kind zur Welt bringen, verlangte. Für eine Annahme dieses Vorschlags fehlten letztlich nur rund zehn Stimmen, womit ein zukünftiger weiterer Vorstoss zu diesem Thema gute Aussichten haben dürfte.
Ebenfalls keine Gnade fand eine Motion der Freiburger SP-Nationalrätin Valérie Piller-Carrard, die eine alte Forderung von Travail.Suisse wieder aufnahm: das Recht von Vätern, nach der Geburt eines Kindes 20 Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub zu beziehen (fünf davon als Block rund um den Geburtstermin, den Rest flexibel im Zeitraum von sechs Monaten). Dieser Vorstoss, der mit rund einem Dutzend mehr Gegenstimmen bei sechs Enthaltungen abgelehnt wurde, fand nicht einmal bei der selbsternannten Familien-Partei CVP eine Mehrheit. Damit gehört die Schweiz zu den letzten Ländern in Europa, in denen man nach wie vor glaubt, dass die Geburt eines Kindes nur von den Müttern bewältigt werden muss. So können Väter in der chaotischen Zeit, in der die Familie grösser wird und man sich auch um weitere Kinder kümmern muss, ihren familiären Verpflichtungen nicht immer nachkommen.
Eine genauere Betrachtung des Abstimmungsergebnisses stimmt jedoch optimistisch, insbesondere was die Chancen eines zukünftigen Vorstosses für einen Vaterschaftsurlaub anbelangt: die Grünliberalen, die Hälfte der BDP, die SP und die Grünen haben sich dafür ausgesprochen. Nicht überraschend stellte sich das bürgerliche Lager dagegen, mit Ausnahme des Genfer FDP-Vertreters Hugues Hiltpold, der bereits 2009 eine Motion zur Einführung eines Vaterschaftsurlaubes eingereicht hatte und seiner Überzeugung treu geblieben ist. Der CVP wird deshalb eine entscheidende Rolle zukommen, denn es fehlen nur wenige Stimmen, um diesen Anachronismus endlich zum Verschwinden zu bringen. Es ist zu hoffen, dass sich die CVP-Vertreterinnen und -Vertreter zumindest an das halten werden, was die Partei auf dem Papier und intern unterstützt.
Ein Postulat der St. Galler CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz wurde hingegen von der grossen Kammer angenommen: Nachdem bereits zwei Familienberichte publiziert wurden – der letzte 2008 –, soll nun ein neuer Bericht zur Situation der Familien in der Schweiz erarbeitet werden.
Tagesschulen: Hoheitsgebiet der Kantone und wenige Ergebnisse
Eine Möglichkeit, wie man Eltern dabei unterstützen könnte, Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen, wäre die Einrichtung von Tagesschulen in der ganzen Schweiz. Gemäss einer Umfrage der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK 1 sind solche Schulen, in denen die Kinder vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I mehrmals pro Woche ganztags betreut werden, allerdings nur wenig verbreitet. In der Regel beschränkt sich das Angebot auf einige wenige Schulen pro Kanton; teilweise sind nicht einmal Daten dazu verfügbar. Die BDP beantragte, dass Tagesschulen in Zukunft national einheitliche Qualitätsmerkmale erfüllen müssen und dazu auch Finanzhilfe erhalten sollen. Der Bundesrat machte jedoch geltend, dass die Bildung zum Hoheitsgebiet der Kantone gehöre und nicht auf eidgenössischer Ebene geregelt werden könne. Er nutzte die Ablehnung des Familienartikels, um es den Kantonen zu erlauben, verschiedenste kantonale Lösungen einzuführen, die ohne Zutun des Bundes entwickelt wurden. Diese Lösungen sind aber den Besonderheiten der regionalen Politik unterworfen und haben nur wenig damit zu tun, was die Familien tatsächlich brauchen.
Wenn man sieht, wie die SVP dieses Thema in einigen Zentralschweizer Kantonen in Beschlag genommen hat, wo das HarmoS-Konkordat 2 zur Diskussion stand, so ist zu befürchten, dass dieses Flickwerk noch lange Bestand haben wird. Der Nationalrat hat sich leider den Argumenten des Bundesrates angeschlossen und die Motion der BDP mit 99 Ja- gegen 75 Nein-Stimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt.
Die Familienpolitik braucht neue Impulse, die zu einer umfassenden und sachlichen Auseinandersetzung mit dieser Problematik führen. Die neusten Entscheide des Nationalrats haben dies einmal mehr auf eklatante Weise gezeigt.
_*mamagenda.ch – Willkommene Verbesserungen!*
Wie lässt sich die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie konkret fördern? Travail.Suisse tut dies mit einer digitalen Agenda auf dem Internet, die allen Interessierten kostenlos zur Verfügung steht (www.mamagenda.ch). Diese zweisprachige Website (Deutsch und Französisch) ermöglicht eine Begleitung von schwangeren Frauen am Arbeitsplatz und hilft ihnen, notwendige Entscheidungen frühzeitig und in aller Ruhe zu treffen. Das erklärte Ziel ist es dabei, Frauen zu ermutigen, auch nach der Geburt eines Kindes erwerbstätig zu bleiben. Diese Website, die 2011 mit Unterstützung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau lanciert wurde, wird jeden Monat von durchschnittlich 750 Personen aufgerufen. Eine italienische Version sollte demnächst aufgeschaltet werden. Im Laufe der Zeit haben die Nutzerinnen der kostenlosen Agenda mamagenda.ch viele technische Verbesserungsvorschläge gemacht. Mehrere davon konnten unterdessen umgesetzt werden. Manchmal nutzen nur die schwangeren Frauen die digitale Agenda, weil sie nicht auf die wohlwollende Mitwirkung ihres oder ihrer Vorgesetzten zählen können. mamagenda wurde zwar mit dem Ziel geschaffen, den Dialog zwischen Arbeitnehmerinnen und Vorgesetzten zu fördern, aber das Instrument kann ein fehlendes gutes Einvernehmen zwischen diesen beiden nicht ersetzen. Deshalb müssen schwangere Frauen die Agenda auch autonom nutzen können. Ab sofort können sie den voraussichtlichen Geburtstermin selbst ändern und auch die Dauer des Mutterschaftsurlaubs kann von der Mitarbeiterin selbst angepasst werden. Weitere kleinere Unschönheiten wurden ebenfalls korrigiert: So etwa können nun keine «unmöglichen» Daten mehr eingegeben werden (zum Beispiel irrtümliche Eingabe des Geburtsdatums der Mitarbeiterin statt des Geburtstermins des Kindes). Die digitale Agenda wird auch an Fachmessen vorgestellt. An der bevorstehenden BabyPlanet-Messe, die vom 11. bis 13. Oktober in Lausanne stattfindet, wird mamagenda mit einem Stand präsent sein. Danach kann man sich vom 31. Januar bis 2. Februar 2014 auch an der Hochzeitsmesse in Bern über dieses Angebot informieren. Ein kleiner Wettbewerb mit Sofortgewinn gibt Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, auf spielerische Weise zu erfahren, was es mit mamagenda.ch auf sich hat._
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