Damit die Welt wirklich nachhaltig wird, braucht es nicht nur eine «Grüne Wirtschaft», sondern auch faire Arbeitsbedingungen. Deshalb stehen an der Internationalen Arbeitskonferenz die Themen nachhaltige Entwicklung, menschenwürdige Arbeit und grüne Arbeitsplätze auf der Tagesordnung. Die Konferenz betont damit die Notwendigkeit, Umweltprobleme und faire Arbeit als zusammenhängende Themen zu betrachten.
Die Klimaerwärmung bedeutet für Mensch und Umwelt eine schwerwiegende Bedrohung, während gleichzeitig das fulminante Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern zu einer Erschöpfung der natürlichen Ressourcen führt. Die rasante Urbanisierung in den Entwicklungsländern schafft für Bevölkerung und Umwelt ernsthafte Probleme, insbesondere mit der Luftverschmutzung, und macht eine Abwasserbehandlung und Abfallentsorgung dringend notwendig.
Aufgrund des Zusammenspiels dieser Faktoren gehört die Grüne Wirtschaft zu den grossen Themen unserer Zeit. Stichworte sind Cleantech, Greentech, Grüne Wirtschaft oder Grünes Wachstum. Die Cleantech oder sauberen Technologien gelten als vielversprechende Lösung zur Bewältigung der Umweltprobleme. Auch in der Schweiz werden ökologische Fragen vorwiegend aus einem technologischen Blickwinkel betrachtet. Kernpunkte sind Energieeffizienz und die Entwicklung der erneuerbaren Energien, was auch in der Energiestrategie 2050 zum Ausdruck kommt, die es ermöglichen soll, in den nächsten Jahrzehnten den Atomstrom zu ersetzen.
Keine Nachhaltigkeit ohne menschenwürdige Arbeit
Forschung und Innovation sind zweifellos unabdingbar, um die Wirtschaft auf einen umweltfreundlicheren Pfad zu leiten. Dieser Ansatz allein genügt jedoch nicht. Denn für den unumgänglichen Wandel hin zu einer Grünen Wirtschaft müssen wir uns nicht nur mit den Folgen der Klimaerwärmung, der Umweltverschmutzung oder der Verknappung der natürlichen Ressourcen für die Wirtschaft auseinandersetzen, sondern auch mit den Folgen für die Arbeitnehmenden, die diese Wirtschaft beschäftigt.
Für einen Übergang zu einer Grünen Wirtschaft braucht es neue Kompetenzen und Qualifikationen in neuen Sektoren. Insgesamt ist mit einem positiven Effekt auf die Beschäftigung zu rechnen, auch wenn verschiedene Branchen Stellen abbauen werden. Es stellt sich jedoch auch die Frage nach der Qualität der Arbeitsplätze in der Grünen Wirtschaft: Handelt es sich um attraktive, qualitativ gute Stellen? Oder bietet der Cleantech-Sektor eher schlecht entlöhnte, weniger hochwertige Stellen?
Die Internationale Arbeitskonferenz hat die Themen nachhaltige Entwicklung, menschenwürdige Arbeit und grüne Arbeitsplätze auf ihre Agenda gesetzt und leistet damit einen wertvollen Beitrag. Die immer globalere Wirtschaft ist mit ihrer steten Suche nach den billigsten Arbeitskräften – manchmal mit verheerenden Folgen, wie dies die Textilindustrie in Bangladesch zeigt – nicht nachhaltig, solange sie sich nicht mit der Frage einer umweltverträglichen Produktion und menschenwürdiger Arbeit befasst.
Der Bericht 1 , der als Grundlage für die Debatte an der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni dienen wird, nennt als prägende Herausforderungen des 21. Jahrhunderts die ökologische Nachhaltigkeit und menschenwürdige Arbeit für alle. Besonders wichtig ist jedoch, dass diese beiden Forderungen eng zusammenhängen und deshalb auch gemeinsam zu betrachten sind. Denn ohne menschenwürdige Arbeit gibt es keine Nachhaltigkeit!
In dieser Debatte ist die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) gut positioniert, um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, da die Frage der menschenwürdigen Arbeit derzeit weit oben auf ihrer Agenda steht. Menschenwürdig ist eine Arbeit dann, wenn sie unter fairen Bedingungen erfolgt, ein ausreichendes Einkommen gewährleistet, ein Mindestmass an sozialer Sicherheit bietet und einen Dialog zwischen den Sozialpartnern erlaubt.
Ohne menschenwürdige Arbeit erschweren ungelöste gesellschaftliche Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit, Armut oder eine schlechte Gesundheit auch Lösungen im Umweltbereich. Umwelt und sozialer Fortschritt sind somit nicht als zwei separate Fundamente einer nachhaltigen Entwicklung zu betrachten. Vielmehr handelt es sich um zwei eng verbundene Dimensionen.
Umweltschutz schafft in der Bilanz Arbeitsplätze…
Gemäss diesem Bericht könnten mit einer grüneren Wirtschaft netto 60 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die meisten Studien, die sich mit den Nettowirkungen politischer Umweltschutzmassnahmen auf die Beschäftigung befassen, sowohl auf weltweiter als auch auf regionaler oder nationaler Ebene, kommen zu positiven Schlussfolgerungen. Doppelt – für die Umwelt und die Beschäftigung – zahlt sich eine Ökosteuer aus, deren Erträge in die Senkung der Arbeitskosten fliessen. Eine globale Studie des Institut international d’études sociales (IIES) rechnet vor, dass eine neue CO2-Abgabe netto 14 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen könnte, wenn die Einnahmen zur Senkung der Arbeitskosten eingesetzt würden. In China würden 6,8 Millionen direkte und indirekte Stellen resultieren, wenn die Regierung ihre Ziele im Bereich der Wind-, Solar- und Wasserkraft realisiert. In Korea könnten mit staatlichen Investitionen von 97 Milliarden Dollar, die zur Unterstützung des ökologischen Übergangsprozesses im Zeitraum 2009 bis 2013 vorgesehen waren, bis 2020 11,8 bis 14,7 Millionen Stellen entstehen.
…die im Allgemeinen höherwertig sind
Diese neuen Stellen weisen tendenziell ein höheres Qualifikations-, Sicherheits- und Lohnniveau auf als vergleichbare Stellen innerhalb des entsprechenden Sektors. Daten aus Deutschland und Spanien zeigen, dass es sich im Bereich der Produktion von ökologischen Waren und Dienstleistungen meistens um unbefristete Vollzeitstellen mit einem Qualifikationsniveau handelt, das deutlich über dem Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung des entsprechenden Landes liegt. Auch in China profitieren die Arbeitnehmenden in Windkraftwerken von Löhnen, die im Durchschnitt höher sind als üblich, sowie von mehr Beschäftigungssicherheit, attraktiveren Arbeitsbedingungen und einem besseren Arbeitsschutz als in klassischen Kraftwerken.
Es braucht Verbesserungen in der Ausbildung und neue Kompetenzen
Wenn der Faktor Mensch nicht selber die Schaffung von Stellen in der grünen Wirtschaft bremsen soll, muss ein Schwerpunkt auf die Ausbildung und den Erwerb geeigneter Kompetenzen gelegt werden. Dies gilt insbesondere für die Abfallbewirtschaftung und -rezyklierung sowie im Bauwesen.
In der Abfallbewirtschaftung dürften aufgrund eines allgemeinen Trends zur verstärkten Rezyklierung auch künftig Stellen geschaffen werden. Amerikanische Studien haben ergeben, dass das Sortieren und Wiederverwerten von rezyklierbaren Materialien pro Tonne Abfall zehnmal mehr Arbeitskräfte erfordert als das Deponieren oder Verbrennen. Wenn die Rezyklierungsquote von 70 auf 75 Prozent ansteigt, könnten in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren allein in der Europäischen Union und den USA direkt rund 1,8 Millionen Arbeitsplätze entstehen. 2 Bisher lagen in diesem Sektor die Prioritäten auf der Schaffung von Stellen und auf der Berufsbildung, ohne aber die Qualität der Arbeit zu berücksichtigen. Im wachsenden Bereich der Sortierung stellt sich jedoch das Problem, dass die Arbeit in einem sehr hohen Tempo mit gefährlichen Fliessbändern und für wenig Lohn verrichtet wird.
Im Bausektor, der weltweit mindestens 110 Millionen Arbeitskräfte beschäftigt, besteht ein sehr grosses Potenzial zur Schaffung von Stellen im Zusammenhang mit einer verbesserten Energieeffizienz. Zur Ausschöpfung dieses Potenzials, insbesondere bei der Einführung erneuerbarer Energien in Gebäuden, braucht es bessere Arbeitsbedingungen, um das erforderliche Personal zu finden, aber auch Investitionen in die Ausbildung, damit diese Fachkräfte die erforderlichen Kompetenzen besitzen, zum Beispiel für das Montieren von thermischen Solaranlagen und Photovoltaikanlagen.
Die Schweiz geht mit gutem Beispiel voran, was den Stellenwert von Cleantech-Kompetenzen in der Berufsbildung angeht. Der Bundesrat hat kürzlich den Inhalt einer Studie veröffentlicht 3 , in der für alle Sparten der beruflichen Grundbildung überprüft wurde, ob sie inhaltlich den Anforderungen im Cleantech-Bereich genügen. Auch wenn der Bundesrat zum Schluss gekommen ist, dass keine neuen politischen Massnahmen notwendig sind, empfiehlt er den Organisationen der Arbeitswelt, die Schlussfolgerungen der Studie bei künftigen Reformen der Berufe einzubeziehen. Ziel ist es, die erforderlichen Cleantech-Kompetenzen im gesamten Bildungssystem zu berücksichtigen.