Kürzlich hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) als Grundlage für die kommende AHV-Revision verschiedene mögliche Steuermechanismen in der AHV vorgestellt. Dies um eine solide und liquide AHV über den demografischen Buckel hinweg zu gewährleisten. Es gibt gute Gründe für eine stärkere Gewichtung von Automatismen. Allerdings muss für Travail.Suisse ein solcher Automatismus auf der Finanzierungsseite ansetzen.
Die AHV ist zurzeit entgegen früheren Finanzperspektiven des Bundes solide finanziert. Die letzten Jahresergebnisse zeigen, dass sie selbst in Jahren, in welchen sie nominell Rentenerhöhungen (Anpassung an den Mischindex) finanzieren muss, positive Abschlüsse erzielt. Sie hat ihr Eigenkapital auf über 40 Milliarden Franken aufstocken können. Das ist mehr als eine gesamte Jahresausgabe an Reserven. Mit der Publikation der neuen Finanzperspektiven 1 hat auch der Bund anerkannt, dass die AHV heute auf einem gesunden Fundament steht.
Zunahme des demografischen Drucks ab 2025
Ab 2025 wird die AHV ohne weitere Massnahmen auf Grund der demografischen Entwicklung stärker unter Druck kommen: Die Baby-Boomer-Jahrgänge sind grösstenteils in Pension. Die Reserven der AHV wären dann zu klein, um alle Renten zu zahlen. Anders als vielerorts im Ausland ist der demografische Druck auf die Altersvorsorge in der Schweiz jedoch gut bewältigbar. Dies weil davon auszugehen ist, dass die Zahl der Erwerbstätigen auch in Zukunft leicht steigt oder zumindest stabil bleibt. Trotzdem ist es richtig, schon heute über Mechanismen nachzudenken, welche die Nachhaltigkeit der AHV in dieser Situation sicherstellen und eine weitere Blockade bei ihrer Weiterentwicklung vermeiden.
Zusätzlich benötigte Mittel sind moderat
Reichen die Finanzen der AHV nicht mehr aus, gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten: die Einnahmen erhöhen, die Renten kürzen oder das Rentenalter erhöhen. Die Leitfrage muss für die Zukunft lauten: Was tangiert die Lebensqualität der Bevölkerung am wenigsten? Die Analyse und die Finanzperspektiven zeigen, dass die benötigten Zusatzmittel gerade im Vergleich zum Ausland relativ moderat sind: Die Lücke nimmt ein Ausmass von rund 1 bis 2 Lohn- oder Mehrwertsteuerprozenten an 2 .
Übertragung der Schuldenbremse auf AHV nicht statthaft
Wirtschaftsverbände und FDP wollen die Schuldenbremse aus dem Bundeshaushalt unbesehen auf die AHV übertragen. Diese Analogie funktioniert jedoch nicht: Bei der AHV sind die meisten Ausgaben gebundener Natur. Im Gegensatz zum Staat besteht bei den Sozialversicherungen weniger Handlungsspielraum. Renten müssen bezahlt werden. Beim Staatshaushalt können hingegen Investitionen um ein paar Jahre verschoben oder es kann ein Einstellungsstopp verfügt werden. Und auch die Rentner/innen können nicht einfach ihr Verhalten ändern oder anderweitige Einkommen generieren, wenn z.B. die AHV-Rente sinkt oder das Rentenalter kurz vor der Pensionierung angehoben wird.
Bericht zu Steuerungsmechanismus: Richtige Überlegungen…
Diesen Fehler machen die Autoren des Berichts zu den möglichen Steuermechanismen nicht 3. Ihnen ist durchaus bewusst, dass sich die Situation in der AHV anders darstellt. So enthält der Bericht bedenkenswerte Überlegungen:
…aber auch falsche Schlüsse
Die dann im Bericht präsentierten 3 Modelle gehen allesamt von hälftig einnahmeseitig und hälftig ausgabenseitig orientierten Massnahmen aus, wenn ein bestimmter Schwellenwert unterschritten wird:
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Die Modelle sind dabei durchaus ausgeklügelt, weil sich Massnahmen über einen relativ langen Zeitraum erstrecken und so weniger hart ausfallen. Angestrebt wird eine Opfersymmetrie: Alle sollen ihren Beitrag zur Gesundung der AHV leisten. Falsch ist jedoch der Schluss, dass aus der Opfersymmetrie automatisch auch Leistungskürzungen bzw. eine Erhöhung des Rentenalters erfolgt.
Opfersymmetrie auch bei einnahmeorientierten Massnahmen gewährleistet
Opfersymmetrie kann auch herrschen, wenn der Mechanismus rein einnahmeorientiert ist. Wird z.B. die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV angehoben, werden auch die Rentner/innen an der Finanzierung beteiligt. Dies ist angesichts der zunehmenden Zahl von Rentnerinnen und –Rentnern nicht unwesentlich. Ein gewisser Beitrag der Rentnerinnen und Rentner ist aus demografischer Perspektive auch sachlich zu rechtfertigen: Viele haben als Arbeitnehmende und Einzahlende von einem günstigen Verhältnis Aktive-Rentner profitiert. Selber hatte diese Generation wenig Kinder, so dass die heutige aktive Generation mehr belastet ist. Eine Erhöhung der Lohnbeiträge hingegen wird von den Aktiven und den Arbeitgebern zusammen finanziert. Es können so mit einer Kombination der Einnahmequellen verschiedene Bevölkerungsgruppen beteiligt werden, um einer Opfersymmetrie Genüge zu tun.
Zusatzfinanzierung beeinträchtigt Lebensqualität am wenigsten
Die Bevölkerung hat mehrmals zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Kürzung der Altersrenten will und auch keine Erhöhung des Rentenalters. Nur weil die ältere Bevölkerung grösser wird, wird sie nicht automatisch mit weniger Leistungen auskommen. Vorschläge, die mit automatischen Rentenkürzungen arbeiten, sind aus Sicht der Erfüllung des Verfassungsauftrags gefährlich. Zudem bewirken sie ein Auseinanderdriften der 1. Säule, wenn die Leistungen zwischen IV und AHV nicht mehr übereinstimmen. Eine Erhöhung des Rentenalters ist solange unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar, bis die Arbeitgeber den Tatbeweis erbringen und ältere Arbeitnehmende in ausreichender Zahl beschäftigen. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 65-Jährigen müsste dazu allerdings noch gewaltig steigen. Aus den genannten Gründen ist es unwahrscheinlich, dass die Bevölkerung im Rahmen eines Automatismus einem Blankocheck für Leistungskürzungen zustimmt. Sie wird eher bereit sein, eine moderate – und wegen der Baby-Boomer-Generation allenfalls befristete – zusätzliche Finanzierung mitzutragen. Das wird die Lebensqualität der Bevölkerung viel weniger tangieren als Kürzungen bei den Leistungen.
Stärke der AHV nicht aufgeben
Die Stärke der AHV ist, dass sie einfach und zuverlässig funktioniert. Das darf nicht verloren gehen. Mit ständigen Änderungen durch einen Automatismus auf der Leistungsseite wird sie kompliziert und undurchschaubar. Arbeitnehmende müssen wissen, in welchem Alter sie pensioniert werden und mit welchen Leistungen sie von der AHV rechnen können. Vorschläge mit automatischen Leistungseinschränkungen in Abhängigkeit der demographischen Entwicklung untergraben das Vertrauen der Bevölkerung in die AHV. Für Travail.Suisse sind deshalb leistungsseitige Massnahmen im Rahmen eines Automatismus nicht erfolgsversprechend.
Es braucht einen Finanzierungsautomatismus
Travail.Suisse schlägt deswegen einen einnahmeorientierten Automatismus vor, welcher die künftigen AHV-Leistungen über den demografischen Buckel hinweg sichert. Es muss im Voraus festgelegt werden, in welchen Fällen die AHV vorübergehend Zusatzeinnahmen erhalten soll. Wichtig ist dabei, sich auf die tatsächliche Entwicklung zu stützen und nicht auf unsichere Prognosen. Allfällig notwendige Zusatzeinnahmen sollen deshalb vom Stand des AHV-Fonds (Vermögen der AHV) abhängig gemacht werden 4 .
Finanzierungs-Automatismus schafft Verlässlichkeit
Der Automatismus sorgt dafür, dass bei einem Absinken des Fondsstandes der AHV unter bestimmte Schwellenwerte (z.B. beginnend bei 50 Prozent einer Jahresausgabe) automatisch zusätzliche Einnahmen (z.B. Mehrwertsteuerprozente, Lohnprozente) für die AHV erhoben werden. Zudem muss ein Mindestwert definiert werden, unter welchen der AHV-Fonds nicht fallen darf, da sonst die Rentenzahlungen nicht mehr gewährleistet sind. Es liegt dann am Bundesrat und am Parlament, auf der Grundlage dieser Grundabsicherung weitere Massnahmen zu ergreifen, die ein Sinken des AHV-Fonds unter die definierten Schwellenwerte verhindern oder verzögern.
Anderweitige Massnahmen weiterhin möglich
Stossen weitere Massnahmen des Gesetzgebers bei der Bevölkerung auf Akzeptanz, kann auf eine automatische Erhebung zusätzlicher Einnahmen verzichtet werden. Beurteilt die Bevölkerung hingegen vorgeschlagene Massnahmen, z.B. im Rahmen eines Referendums, als nicht akzeptabel und lehnt diese ab, tritt früher oder später eine Einnahmenerhöhung automatisch in Kraft. Damit hätte die Ablehnung einer vorgeschlagenen Massnahme einen klar bezifferten Preis in Form z.B. einer automatischen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Somit kann die Bevölkerung bei drohendem Absinken des AHV-Vermögens jedes Mal entscheiden, ob sie eine andere Massnahme den beschriebenen Zusatzeinnahmen vorzieht. Ein solches Vorgehen ist auch aus demokratiepolitischer Sicht wünschenswert.