Anlässlich der Lancierung der Website info-workcare.ch am 25. Oktober in Bern organisiert Travail.Suisse eine halbtägige Veranstaltung zum Thema Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit der Betreuung von Angehörigen. Während sich die Politik schon seit mehreren Jahren mit der Problematik befasst, schreitet auch die Forschung voran. Eine Podiumsdiskussion verspricht einen aufschlussreichen Dialog zwischen der Forschung und der Politik. Dank der Teilnahme von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann und der Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, Sylvie Durrer, stehen die Vorzeichen für eine erfolgreiche Tagung gut.
Das Programm dieser halbtägigen Veranstaltung ist attraktiv und vielversprechend. Eröffnet wird sie durch Dr. Yannis Papadaniel vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Lausanne UNIL, der die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms NFP67 “Lebensende” und ein neues Forschungsprojekt zur Begleitung einer kranken Person durch ihre erwerbstätigen Angehörigen vorstellt. Im Rahmen dieses Projekts wurden rund hundert Einzelgespräche geführt. Das Forschungsteam beleuchtete das Umfeld der kranken Person aus verschiedenen Blickwinkeln: jenem des Pflegepersonals, aber auch jene der Kolleginnen und Kollegen, der Vorgesetzten der pflegenden Angehörigen sowie der Personalverantwortlichen und Arbeitgeber. Neben den Schlussfolgerungen aus dem Forschungsprojekt wird Dr. Papadaniel geeignete Massnahmen empfehlen, die von den verschiedenen Akteuren umgesetzt werden können.
Der zweite Vortrag wird von Heidi Stutz vom Büro BASS in Bern gehalten werden, die ein wegweisendes Forschungsprojekt zum Thema pflegende Angehörige realisiert hat. Im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann führte die Forscherin 2012 eine Forschungsarbeit über die soziale Absicherung von Personen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten, durch. In der Folge veröffentlichte sie mehrere Beiträge insbesondere im Schwerpunktdossier Beruf und Angehörigenpflege der Publikation «Soziale Sicherheit» des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Heidi Stutz verfasste ebenfalls einen Katalog mit Empfehlungen für die verschiedenen Akteure. Zwischen 2012 und 2016 lässt sich eine Konstante erkennen: die mangelnde Anerkennung der Care-Arbeit.
Das Thema «Work and Care» steht seit mehreren Jahren auf der politischen Agenda
Die Frage der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Care-Arbeit steht seit mehreren Jahren auf der politischen Agenda. Infolge der Alterung der Bevölkerung, aber auch des Volksentscheids vom 9. Februar 2014 zur Einwanderung sehen sich die Unternehmen heute schon mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert, wobei sich die Lage so schnell nicht entspannen dürfte. Auch der Bundesrat zeigt sich beunruhigt. Am 12. September lud Bundespräsident Johann Schneider-Ammann die Sozialpartner und die betroffenen kantonalen Direktoren zu einem Meinungsaustausch ein. Johann Schneider-Ammann wird an der Tagung vom 25. Oktober über die Herausforderungen sprechen und gewiss auch die Pläne des Bundesrates vorstellen. Vor ihm wird Sylvie Durrer, die Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, das Wort ergreifen. Denn eines steht fest: die Mehrheit der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Die ungleiche Verteilung dieses Teils der unbezahlten Arbeit beeinträchtigt die Zukunft der Arbeitnehmerinnen erheblich.
In den eidgenössischen Räten sind mehrere Vorstösse zur Thematik eingereicht worden. Zuletzt von Nationalrat Stefan Müller-Altermatt, Präsident von transfair, einer Mitgliedsorganisation von Travail.Suisse. Anlässlich der letzten Session reichte er ein Postulat ein, mit dem er den Bundesrat auffordert, die BVG-Deckung der pflegenden Angehörigen, die ihr Arbeitspensum reduziert haben, zu prüfen. Er schlägt vor, dass der Arbeitgeberbeitrag von einem Fonds des Bundes übernommen wird. Der zweite Vorstoss ist eine Motion, die vom Bundesrat verlangt, dass das Arbeitslosenversicherungsgesetz dahingehend abgeändert werden soll, dass die von einer arbeitslosen Person verrichtete Care-Arbeit berücksichtigt wird. Die arbeitslose Person ist nämlich unter Androhung von Sanktionen verpflichtet, jede «zumutbare» Arbeit anzunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass diese Arbeit es ihr ermöglicht, ihre Angehörigen weiterhin zu betreuen.
Forscher und Parlamentarier diskutieren über mögliche Massnahmen
CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt ist einer der vier Parlamentarier, die an der Veranstaltung vom 25. Oktober teilnehmen werden. Neben ihm ist es seine Parteikollegin Christine Bulliard-Marbach, die als Mitautorin einer parlamentarischen Initiative einen systematischen Anspruch auf Betreuungsgutschriften für Angehörige, die eine hilflose Person pflegen, fordert. Der Grünliberale Thomas Weibel wird seine Sicht der Dinge darlegen, während die CVP-Ständerätin Anne Seydoux-Christe von den Schwierigkeiten sprechen wird, mit denen Eltern von schwer kranken Kindern zu kämpfen haben, wenn sie ihre elterlichen Verpflichtungen mit ihrer Erwerbstätigkeit unter einen Hut bringen müssen. In ihrem vom Ständerat 2010 angenommenen und 2014 erledigten Postulat forderte sie die Einführung ins Sozialversicherungssystem eines ausreichend langen bezahlten Urlaubs für Eltern, die ihr schwer krankes Kind betreuen. Seither haben sich mehrere Bundesämter mit dem Thema eingehend befasst. Der Bundesrat muss demnächst alle Massnahmen vorstellen, die er zu ergreifen beabsichtigt.
Unter der Leitung der zweisprachigen Moderatorin Sabine von Stockar findet eine Podiumsdiskussion mit den Forschern und Parlamentariern statt. Es wird interessant sein zu erfahren, welche Antworten die Politik auf die Erkenntnisse der Forschung zu geben weiss.
Mit info-workcare.ch möchte Travail.Suisse den pflegenden Angehörigen eine konkrete Hilfestellung anbieten
Die Mühlen der auf Konsens bedachten Schweizer Politik mahlen sehr langsam, während die pflegenden Angehörigen im Alltag auf zahlreiche Hindernisse stossen. Eines der vorrangigen Bedürfnisse besteht darin, verschiedenste Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu sammeln. Diese «Informationsjagd» ist äusserst zeitraubend. Aus diesem Grund hat Travail.Suisse beschlossen, eine nationale Informationsplattform für pflegende Angehörige ins Leben zu rufen. Mit www.info-workcare.ch stellt die unabhängige Dachorganisation der Arbeitnehmenden allen eine kostenlose dreisprachige Website zur Verfügung, die neben regionalen Adressen Ratschläge und Tools enthält, dank denen sich das persönliche Engagement mit der Berufstätigkeit bestmöglich vereinbaren lassen. Das Ziel von Travail.Suisse besteht darin, einerseits die Care-Arbeit zu fördern, vor allem bei Männern, und andererseits zu verhindern, dass jemand gezwungen ist, wegen seines Pflegeengagements seine Stelle aufzugeben.
Die halbtägige Veranstaltung, anlässlich derer die Website info-workcare.ch offiziell lanciert werden wird, richtet sich in erster Linie an Fachleute aus dem Bereich der Begleitung von pflegenden Angehörigen, an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, politische Entscheidungsträger auf Bundes- und Kantonsebene sowie Medienvertreter. Der Eintritt ist kostenlos. Eine Simultanverdolmetschung Französisch/Deutsch ist vorgesehen. Seit Mitte September sind schon zahlreiche Anmeldungen eingegangen. Das Programm sowie einen Link für die Anmeldung finden Sie auf der Website von Travail.Suisse unter der Rubrik Familie / Pflegende Angehörige.