In der kommenden Session wird das Parlament wiederum viele Geschäfte beraten, die für die Arbeitnehmenden von zentraler Bedeutung sind. Die Haltung von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, zu ausgewählten Geschäften ist im Folgenden kurz zusammengefasst.
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
Nationalrat – Bundesgesetz über die Ladenöffnungszeiten (14.095). Mit dem Bundesgesetz über die Ladenöffnungszeiten sollen die Ladenöffnungszeiten in der Schweiz auf Bundesebene geregelt werden. Das Gesetz sieht Mindestöffnungszeiten unter der Woche von 6 bis 20 Uhr vor und am Samstag von 6 bis 19 Uhr. Damit müssten die bisher kantonal festgelegten Ladenöffnungszeiten in 17 Kantonen verlängert werden. Das Gesetz dient der Umsetzung der Motion Lombardi, welche sich als Massnahme gegen den Einkaufstourismus verstanden wissen will. Sämtliche existierenden Untersuchungen zeigen allerdings, dass das hohe Preisniveau in der Schweiz die Hauptursache für den Einkaufstourismus darstellt und nicht Unterschiede bei den Ladenöffnungszeiten. Verlängerte Ladenöffnungszeiten stellen für die rund 320‘000 Beschäftigten im Detailhandel eine grosse Belastung dar und führen zu einer Zunahme von überlangen Arbeitstagen und zerstückelten Diensten und zu grösseren Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Allein in den letzten sechs Jahren gab es neun kantonale Abstimmungen zur Frage der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Die kantonale Stimmbevölkerung lehnte die entsprechenden Vorlagen acht Mal ab.
Travail.Suisse lehnt ein Gesetz, welches die Probleme des Einkaufstourismus nicht lösen kann, demokratisch legitimierte Entscheide in den Kantonen umstürzt und die Arbeitsbedingungen eines Grossteils der Beschäftigten im Detailhandel verschlechtert, ab und empfiehlt das Bundesgesetz über die Ladenöffnungszeiten zur Ablehnung.
Nationalrat – Entsendegesetz. Änderung (15.054). Mit der vorgeschlagenen Änderung des Entsendegesetzes soll im Wesentlichen eine Erhöhung der maximalen Verwaltungssanktion bei Verstössen gegen die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen von 5‘000 auf 30‘000 Franken umgesetzt werden. Diese Anpassung ist Teil des sistierten Bundesgesetzes zur Optimierung der flankierenden Massnahmen, welches im Zusammenhang mit der Umsetzung von Art. 121a BV weiter diskutiert werden wird. Auf ausdrücklichen Wunsch der Sozialpartner wird diese Erhöhung der Verwaltungssanktion vorweggenommen, da die bisherige Obergrenze deutlich zu tief ist, um eine abschreckende Wirkung auf ausländische Arbeitgeber, welche Arbeitskräfte in die Schweiz entsenden, auszuüben. Die geplante Erhöhung stärkt somit die Effektivität der flankierenden Massnahmen zum freien Personenverkehr. Travail.Suisse empfiehlt die Änderung des Entsendegesetzes zur Annahme.
Nationalrat – Parlamentarische Initiative Aebischer. Die Nationalbank ist auch für einen hohen Beschäftigungsgrad verantwortlich (15.414). Diese parlamentarische Initiative verlangt, dass die Aufgaben der Nationalbank im Bundesgesetz über die Schweizerische Nationalbank (SNB) ergänzt werden. Neu soll in Art. 5, Abs. 1 neben der Preisstabilität explizit auch ein hoher Beschäftigungsgrad vorgegeben sein. Der Entscheid der Nationalbank zur Aufhebung des Euro-Mindestkurses belastet den Schweizer Arbeitsmarkt nachhaltig negativ. Die Erwerbslosenquote ist innerhalb des letzten Jahres beträchtlich gestiegen, während in der Eurozone eine Abnahme der Erwerbslosenzahlen zu beobachten ist. Der überbewertete Franken ist mindestens teilweise mitverantwortlich für die negative Entwicklung am Arbeitsmarkt. Eine explizite Nennung eines hohen Beschäftigungsgrades als Aufgabe der SNB ist daher sinnvoll. Travail.Suisse empfiehlt die Annahme dieser parlamentarischen Initiative.
Nationalrat – Bundesgesetz über die Arbeit in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs (AZG). Teilrevision (15.037). Das Arbeitszeitgesetz (AZG) enthält Vorschriften über Arbeits- und Ruhezeit, Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung und ist ein zentraler Pfeiler für den Schutz der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmenden im öffentlichen Verkehr. In einer unbestrittenen Teilrevision soll es den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden. Uneinigkeit besteht in Bezug auf die Unterstellung von Drittfirmen unter das AZG. Die KVF-N sträubt sich gegen klare Kriterien zur Unterstellung von Dritten, wenn sie gleichartige sicherheitsrelevante Arbeiten im Umfeld des öffentlichen Verkehrs ausüben (z.B. Gleisbaufirmen). Für Arbeitnehmende der Bahnen und der Drittfirmen sollen aber unbedingt gleiche Schutzbestimmungen gelten. Die KVF-N beantragt weiter, dass die Mindestruheschicht unterschritten werden darf im Falle von Betriebsstörungen. Für Travail.Suisse darf die Ruheschicht von neun Stunden unter keinen Umständen unterschritten werden. Verkürzungen der Ruheschicht würden schnell einmal zu einer zu massiven Verkürzung der effektiven Ruhezeit führen. Ausserdem bestehen heute bereits gesetzliche Möglichkeiten um Störungen zu bewältigen, etwa mit der Ausdehnung der Arbeitszeit. Travail.Suisse empfiehlt beide Änderungsanträge der KVF-N zur Ablehnung und spricht sich für die Vorlage des Bundesrates aus, die auch den Empfehlungen der tripartit zusammengesetzten Arbeitszeitkommission entspricht.
Ständerat – Motion Noser. Bürokratieabbau. Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung vorantreiben (15.3672). Die Motion verlangt vom Bundesrat Massnahmen, um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung der Schweiz voranzutreiben; insbesondere im Bereich der Online-Abwicklung von Behördengängen. Die Nutzung der elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien und eine beschleunigte und effektive Umsetzung der E-Government-Strategie können den Bürokratieaufwand für Unternehmen reduzieren und so zu positiven Beschäftigungseffekten beitragen. Durch etliche Studien ist erwiesen, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz noch beträchtliches Verbesserungspotenzial aufweist. Travail.Suisse empfiehlt daher diese Motion zur Annahme.
Familienpolitik
Nationalrat – Parlamentarische Initiative Candinas. Zwei Wochen über die EO bezahlten Vaterschaftsurlaub (14.415). Heute kriegen Väter bei der Geburt des eigenen Kindes per Gesetz gerade mal einen arbeitsfreien Tag. Das ist nicht mehr zeitgemäss. Zwar gibt es immer mehr Unternehmen, welche freiwillig einen Vaterschaftsurlaub anbieten. Diese sind jedoch noch immer in der Minderheit. Zudem wird diese Möglichkeit meist nur Angestellten von grösseren Firmen geboten. Das ist nicht fair. Die parlamentarische Initiative will einen wichtigen Schritt hin zu präsenteren Vätern machen und einen analog zur Mutterschaftsversicherung über die EO finanzierten minimalen Vaterschaftsurlaub einführen. Mit der Lösung über die EO würden gleich lange Spiesse für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingeführt. Travail.Suisse setzt sich seit längerer Zeit für einen echten Vaterschaftsurlaub ein. Auch wenn die vorgeschlagenen zwei Wochen sehr bescheiden sind, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Deshalb empfiehlt Travail.Suisse, den Vorstoss zu unterstützen.
Nationalrat – Motion Caroni. Elternurlaub. Mehr Wahlfreiheit bei gleichen Kosten (14.3109). Die Motion will den Bundesrat beauftragen, einen Gesetzesentwurf für einen Elternurlaub vorzulegen, welcher es ermöglicht, dass ein Teil der 14 Wochen Mutterschaftsurlaub durch den Vater bezogen werden kann. Travail.Suisse empfiehlt, die Motion abzulehnen. Der heutige 14-wöchige Mutterschaftsurlaub ist im internationalen Vergleich sehr bescheiden. Trotzdem ist er eine Errungenschaft, welche über lange Jahre hart erkämpft werden musste. Ein Teilbezug durch den Vater würde diese Errungenschaft in Frage stellen. Zudem ist eine Senkung des Mutterschaftsurlaubs unter 14 Wochen nicht vereinbar mit dem IAO- Übereinkommen Nr. 183 über den Mutterschutz, welches der Bundesrat erst kürzlich ratifiziert hat.
Nationalrat – Motion Grünliberale Fraktion. Elternurlaub statt Mutterschaftsentschädigung (14.3068). Die Motion will erreichen, dass Vätern ein Recht auf Elternurlaub gewährt wird, sofern die Frauen nicht ihren gesamten Mutterschaftsurlaub beziehen. Je kürzer der Mutterschaftsurlaub, desto länger wäre der Elternurlaub für die Väter nach der Geburt ihres Kindes. Die Dauer verhält sich umgekehrt proportional und linear bis zum unantastbaren Minimum von 8 Wochen. Travail.Suisse empfiehlt die Ablehnung dieser Motion. Im Hinblick darauf, dass sich die Frauen häufig über die zu kurze Dauer des Mutterschaftsurlaubs beklagen, ist der Vorschlag unverständlich. Die Frage eines bisher nicht existierenden Vaterschaftsurlaubs bei der Geburt eines Kindes muss geregelt werden, allerdings ohne die Ansprüche der Frauen zu schmälern. Denn der Mutterschaftsurlaub ist eine grundlegende Gesundheitsschutzmassnahme für Mutter und Kind, die hart erkämpft werden musste. Diese Motion ist ausserdem nicht vereinbar mit dem IAO- Übereinkommen Nr. 183 über den Mutterschutz, das die Schweiz im Juni 2014 ratifiziert hat. Dieses Übereinkommen garantiert in Artikel 4 jeder Frau einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen.
Nationalrat – Motion WBK-N. Honorierung von Unternehmen, die eine Familienpolitik unterstützen (15.4083). Diese Motion wurde am 5. November 2015 von der WBK-N wohl in aller Eile eingereicht, verfolgt aber eine gute Absicht. Familienfreundliche Unternehmen sollen bekannt gemacht und ihre Bemühungen honoriert werden, in diesem Fall durch eine Zertifizierung durch den Staat. Zum Vorgehen, zu den Bewertungskriterien, zur Tiefe und zur Periodizität der Analyse werden keine Aussagen gemacht, schon gar nicht in Bezug auf die entstehenden Kosten. Doch es gibt schon mehrere private Labels und Zertifizierungen, die vom Bund unterstützt werden. Zum Beispiel das Label «Equal Salary» der gleichnamigen Stiftung und das Label «Familie UND Beruf» der Fachstelle UND. Der Dachverband Pro Familia Schweiz hat die Bewertungsplattform «Family Score» lanciert, wo Angestellte ihren Arbeitgeber anhand eines von den Sozialpartnern gutgeheissenen Verfahrens bewerten. Jedes Jahr wird ein Unternehmen mit einer guten Bewertung ausgezeichnet. Travail.Suisse ist der Ansicht, dass es besser wäre, die finanzielle Unterstützung zu erhöhen, die das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann Unternehmen, die sich zugunsten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen, oder Verbänden, die seriöse Zertifizierungen ausstellen, gewährt. Travail.Suisse empfiehlt wie der Bundesrat, diese Motion abzulehnen.
Sozialpolitik
Nationalrat – Parlamentarische Initiative SVP-Fraktion. Voraussetzung für IV-Rentenbezug für Ausländer (14.426), Parlamentarische Initiative SVP-Fraktion. Karenzfrist für Ergänzungsleistungen (14.427), Parlamentarische Initiative SVP-Fraktion. Voraussetzung für den AHV-Rentenbezug erhöhen (SGK) (14.429). Die drei Initiativen wollen die Hürden für den Zugang ausländischer Staatsangehöriger zur Invalidenversicherung, zu den Ergänzungsleistungen und zur AHV erhöhen. Travail.Suisse empfiehlt wie die ständerätliche Sozialkommission, die Vorstösse abzulehnen. Strengere Eintrittsschwellen für ausländische Staatsangehörige sind mit den geltenden Abkommen mit der EU und der EFTA nicht vereinbar.
Nationalrat – ELG. Anrechenbare Mietzinsmaxima (14.098). Heute werden bei den Ergänzungsleistungen für die Wohnungsmiete maximal 1100 Franken (Alleinstehende) bzw. 1250 Franken (Ehepaare) angerechnet. Seit der letzten Anpassung dieser Höchstbeträge 2011 sind die Mieten im Durchschnitt über 20 Prozent gestiegen. Das führt dazu, dass heute nur noch 70 Prozent der Alleinstehenden und weniger als die Hälfte der Familien mit den maximalen Beträgen die tatsächliche Miete gedeckt haben. Den nicht gedeckten Teil müssen die Betroffenen aus den Ergänzungsleistungen für den allgemeinen Lebensbedarf abdecken. Das untergräbt den Sinn der EL. Mit den vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassungen der Höchstbeträge sollen wieder für rund 90 Prozent der Alleinstehenden und Familien die tatsächlichen Mietausgaben gedeckt werden. Neu soll das Mietzinsmaximum zivilstandsunabhängig berechnet werden, bei Familien wird dem erhöhten Raumbedarf aber mit Zuschlägen Rechnung getragen. Zusätzlich wurden drei unterschiedliche Mietzinsmaxima nach Region vorgeschlagen. Travail.Suisse empfiehlt, die dringend notwendige Anpassung vorzunehmen und nicht noch länger auf die lange Bank zu schieben.
Gleichstellungspolitik
Nationalrat – Parlamentarische Initiative Maire. AVIG. Bildungsmassnahmen im Falle eines Wiedereinstiegs ins Berufsleben nach Erziehungszeiten (14.452). Im Januar dieses Jahres hatte die WAK-N in ihrer neuen Zusammensetzung den bereits einmal gefassten Entscheid bestätigt, die parlamentarische Initiative von Jacques-André Maire, Vizepräsident von Travail.Suisse, zu unterstützen. Die Mehrheit der Kommission hat sich den Argumenten von Travail.Suisse angeschlossen: Menschen, die sich über vier Jahre um die Erziehung ihrer Kinder gekümmert haben, sollten einfacheren Zugang zu von der Arbeitslosenversicherung finanzierten Bildungsmassnahmen erhalten. Die Kommission anerkennt, dass dieses Instrument dafür nur minim erweitert werden muss und ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein könnte. Diese parlamentarische Initiative gehört zu den einfach umzusetzenden Massnahmen, mit denen die Absichtserklärungen konkretisiert werden könnten.
Nationalrat – Postulat Amarelle. Monitoring der Lohn- und Einkommensgleichheit. Strukturerhebung mit Indikatoren zu Lohn und Einkommen ergänzen, um die Erhebungsdaten zu erweitern (15.3280). Dieses Postulat, das vom Bundesrat unterstützt wird, schlägt vor, dass die Lohndaten in die Strukturerhebung (SE) der eidgenössischen Volkszählung integriert werden. Momentan beruht die Messung der Lohnungleichheit auf den Daten, die 35‘000 Unternehmen alle zwei Jahre im Rahmen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) bereitstellen. Die SE wird jedes Jahr bei rund 300‘000 Personen durchgeführt. Wenn die SE z. B. mit Daten aus den Registern der Zentralen Ausgleichkasse erweitert wird, vervollständigt sie die Daten der LSE. Travail.Suisse unterstützt dieses Postulat, da eine Ergänzung der SE mit dem primären Sektor und den selbstständig Erwerbende sinnvoll ist. Um fundierte Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, die Lage in der Schweiz zu verstehen und zu wissen, welche bereits vorhandenen Statistiken und Register sich überschneiden.
Ständerat – Motion Giezendanner. Befreiung der Unternehmen vom Statistikaufwand (15.3433). Diese Motion ist der absolute Gegensatz zum Postulat Amarelle, das weiter oben vorgestellt wird. Dieser Vorstoss mit unklaren Absichten will alle Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden von der Pflicht befreien, Informationen für die Bundesstatistik zu liefern. Als Vorwand wird der übermässige Verwaltungsaufwand angeführt, unter dem die Unternehmen leiden würden. Der Urheber der Motion steckt alle administrativen Aufgaben der Arbeitgeber (Abrechnungen der Sozialabgaben, MWST usw.) in dieselbe Schublade und behauptet, dass die Bereitstellung der Daten für das Bundesamt für Statistik einen zu grossen Aufwand darstellt. Wie können aber richtige Entscheidungen getroffen werden, wenn 98 Prozent der Unternehmen in den Bundesstatistiken nicht mehr vertreten sind? Wie soll die Entwicklung punkto Lohndifferenzen und Lohndiskriminierung gemessen werden, wenn die allermeisten Unternehmen gar keine diesbezüglichen Daten mehr liefern? Für Travail.Suisse besteht das einzige Ziel dieser Motion darin, auch das letzte bisschen Transparenz zu beseitigen. Daher ist diese Motion diskussionslos ad acta zu legen, wie dies der Bundesrat empfiehlt.
Energie- und Umweltpolitik
National- und Ständerat – Energiestrategie 2050, erstes Massnahmenpaket. Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative). Volksinitiative (13.074). Die Energiestrategie 2050 befindet sich in der Differenzbereinigung zwischen den beiden Räten. Travail.Suisse hofft, dass sich einige Entscheidungen des Nationalrats durchsetzen können, die ehrgeiziger sind als diejenigen des Ständerats. Zum Glück haben sich die beiden Kammern in Bezug auf die grundlegenden Punkte geeinigt: Die Tatsache, dass die Subventionen für Gebäude-sanierungen von 300 Millionen auf 450 Millionen Franken pro Jahr sowie der Zuschlag für die kostendeckende Einspeisevergütung von 1,5 auf 2,3 Rp./kWh erhöht werden, ist erfreulich. Mit diesen Massnahmen kann die Innovation gefördert werden und Zehntausende Stellen landesweit können gesichert oder geschaffen werden, insbesondere in KMU.
In Bezug auf einige grosse Differenzen spricht sich Travail.Suisse dafür aus, dass die Netzbetreiber dazu ermuntert werden, Strom zu sparen, und dass die Unterstützungsmassnahmen zugunsten der erneuerbaren Energien nicht zu rasch eingeschränkt werden. Der Richtwert für die Entwicklung erneuerbarer Energien soll bis 2035 beibehalten werden und 14 500 GWh betragen. Travail.Suisse lädt den Ständerat ein, sich in diesen Punkten dem Nationalrat anzuschliessen. Leider hat sich die Kommission des Nationalrats in mehreren Punkten hinter die Entscheidungen des Ständerats gestellt. Travail.Suisse ruft den Nationalrat auf, nicht immer der Kommission zu folgen bzw. Anträge der Minderheit zu übernehmen. Es wäre auch gut, wenn – trotz der Kehrtwende der Kommission – das Betriebskonzept des Nationalrats für die letzten zwei Jahrzehnte des Betriebs der Kernkraftwerke übernommen würde. Dies könnte das Los der Atomausstiegsinitiative beeinflussen.
Nationalrat – Postulat UREK-N. Auswirkungen der Rückerstattung der Zuschläge auf die Übertragungskosten der Hochspannungsnetze (Art. 15bbis EnG) (15.4085). Wie der Bundesrat begrüsst auch Travail.Suisse dieses Postulat der UREK-N. Es ist wichtig, einen Überblick zu haben über die Unternehmen, die von der Rückerstattung profitieren, und über die Effizienzgewinne Bescheid zu wissen, die durch die abgeschlossenen Zielvereinbarungen erzielt wurden. Der Bericht wird bei möglichen Anpassungen oder Änderungen zur Unterstützung beigezogen werden können.
Nationalrat – Standesinitiative Graubünden. Werterhaltung der Schweizer Wasserkraft (13.312). Die UREK-S hat diese Initiative nur äusserst knapp gutgeheissen. Es sei deshalb daran erinnert, dass die Energiestrategie 2050 angepasst wurde, damit Schwierigkeiten, die bei einigen Wasserkraftbetrieben infolge der Marktbedingungen auftreten, berücksichtigt werden. Diese Initiative weist folglich keinen echten Nutzen auf und behindert die Entwicklung der anderen erneuerbaren Energiequellen. Die UREK-N hat sich allerdings nicht täuschen lassen und empfiehlt einstimmig die Ablehnung der Vorlage.
Nationalrat – Motion FDP-Liberale Fraktion. Bürokratieabbau in der CO2- und Energiegesetzgebung. Einheitliche Rahmenbedingungen für den Vollzug von Zielvereinbarungen (15.3543). Der Bundesrat hat die Motion angenommen. Travail.Suisse vertritt denselben Standpunkt, sofern das Ziel darin besteht, bei der Umsetzung des Befreiungsinstruments für Unternehmen (CO2-Abgabe oder Netzzuschlag mittels Zielvereinbarung) eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Vollzugs zu bewirken.
Nationalrat – Für eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung (Stromeffizienz-Initiative). Volksinitiative (14.026). Diese zwar lobenswerte Initiative ist mit der Energiestrategie 2050 obsolet geworden, denn diese enthält strengere Ziele hinsichtlich der Senkung des Stromverbrauchs. Ein weiterer Schwachpunkt der Initiative ist, dass sie sich ausschliesslich auf den Strom beschränkt, während die Energiestrategie 2050 den gesamten Energieverbrauch abdeckt.
Migrations- und Asylpolitik
Nationalrat – Motion SVP-Fraktion. Keine Sozial- und Nothilfe für stellensuchende Einwanderer (14.3072). Diese Motion schlägt vor, stellensuchende und arbeitslose ausländische Einwanderer mit Kurzaufenthaltsbewilligungen L und deren Familienangehörige von der Sozialhilfe und der Nothilfe auszuschliessen. Die Motion fordert zudem, jenen Personen, die bereits eine Hilfe beziehen, die Aufenthaltsbewilligung zu entziehen. Travail.Suisse empfiehlt, diese Motion abzulehnen. Der Vorstoss übersieht, dass der Anspruch auf Nothilfe ein verfassungsmässiges Grundrecht ist und die Mittel garantiert, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Die arbeitslosen und stellensuchenden Personen stellen ein Arbeitskräftepotenzial dar und ihre berufliche Integration darf nicht behindert werden.
Nationalrat – Motion Brand. Teilzeitbeschäftigte Zuwanderer ohne Anspruch auf Unterstützungsleistungen (14.3090). Die Motion fordert, dass ausländische Personen mit Teilzeitpensum, die in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung beantragen, den Nachweis erbringen, dass sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt dauerhaft und selbständig zu bestreiten. Travail.Suisse empfiehlt die Ablehnung dieser Motion, da sie drastische Massnahmen vorsieht, ohne die Gesamtsituation der teilzeitbeschäftigten Person zu berücksichtigen. Kommt hinzu, dass der Bezug von Sozialhilfe den Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung bereits ausschliesst. Ob eine Person ihren Lebensunterhalt dauerhaft und selbständig ohne staatliche Unterstützung bestreiten kann, muss im Licht aller Umstände, die sich im Laufe der Zeit und unabhängig vom Willen der betroffenen Person ändern können, geprüft werden. Im Übrigen sehen bereits die Umsetzungsarbeiten von Art. 121a BV Beschränkungen vor. Statt noch mehr Beschränkungen vorzusehen sollten teilzeitbeschäftigte Personen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind, unterstützt werden. Damit würde gewährleistet, dass sich ihre Situation nicht verschlechtert.
Service public
Nationalrat – Postulat Aebischer. Zukunft des Service public im Medienbereich (15.4021). Der Autor des Postulats will eine starke SRG, was genügend Ressourcen bedingt, insbesondere im Rahmen der künftigen digitalen Gesellschaft. Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulats. Travail.Suisse schliesst sich dem an. Im heutigen Umfeld ist zu verhindern, dass die SRG unter dem Vorwand, den Wettbewerb mit den meist gewinnorientierten Privatsendern nicht zu verfälschen, der erforderlichen Mittel beraubt wird, um die Ziele des Service public zu erreichen,
Steuer- und Finanzpolitik
Nationalrat – Unternehmenssteuerreformgesetz III (15.049). Am 5. Juni 2015 hat der Bundesrat die Botschaft zu dieser Reform verabschiedet und leider einen zentralen Vorschlag für die Gegenfinanzierung zurückgezogen (eine Kapitalgewinnbesteuerung, die Kantonen und Bund rund eine Milliarde Franken eingebracht hätte). Zwar setzt sich Travail.Suisse für die Abschaffung besonderer Steuerstatus ein, lehnt aber die Reform ab. Denn mangels einer Gegenfinanzierung wird diese Reform bei Bund und Kantonen zu Verlusten in Milliardenhöhe führen. Die Reform hat bereits in verschiedenen Kantonen Projekte zur Senkung der Unternehmensbesteuerung ausgelöst, und es macht sich ein ruinöser Steuerwettbewerb breit, der zum Abbau von Leistungen des Service public oder zu Steuererhöhungen für Privatpersonen führen wird. Daher verlangt Travail.Suisse einen minimalen Gewinnsteuersatz von 17 Prozent für Unternehmen, um die Steuerausfälle tief zu halten.
Der Ständerat hat eine Reform verabschiedet, die den Entwurf des Bundesrats geringfügig abändert. Die kleine Kammer hat den kantonalen Anteil an der direkten Bundessteuer als Ausgleich leicht angehoben, was beim Bund zu Steuerausfällen von 153 Millionen Franken führen wird. Im Gegenzug wurde darauf verzichtet, die Emissionsabgabe auf Eigenkapital aufzuheben, was beim Bund zu Mindereinnahmen von 228 Millionen geführt hätte. Insgesamt ergibt sich für den Bund eine finanzielle Einbusse von rund 1,3 Milliarden Franken. Zudem hat die WAK-N das Schiff zusätzlich beladen, so dass die Steuerausfälle gar auf 2 Milliarden Franken steigen. Im Nationalrat ist daher nicht mit einer Gegenfinanzierung der Reform durch die Wirtschaft zu rechnen. Ganz im Gegenteil! Falls keine grundlegenden Änderungen vorgenommen werden, ist absehbar, dass gegen die Unternehmenssteuerreform III das Referendum ergriffen wird. Travail.Suisse dürfte dieses unterstützen.
Nationalrat – Parlamentarische Initiative FDP-Liberale Fraktion. Stempelsteuer schrittweise abschaffen und Arbeitsplätze schaffen (09.503). Durch dieses Vorhaben werden dem Bund Einnahmen von rund 240 Millionen Franken jährlich entgehen, aber es ist nicht bewiesen, dass dadurch mehr Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ist diese Vorlage abzulehnen. Sie wurde 2014 vom Ständerat zurückgestellt, weil die Frage im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III geprüft werden sollte. Der Nationalrat hat der Vorlage seinerseits zugestimmt. Allerdings hat sich die FK-N im Januar 2016 zum Projekt geäussert und unterstützt dabei ein System, das von der Unterkommission der WAK-N konzipiert wurde. Dieses sieht vor, die Stempelsteuer nicht nur für das Eigenkapital abzuschaffen, sondern in drei zeitlich gestaffelten Schritten auch für Versicherungsprämien. Dadurch würden wahrscheinlich Mindereinnahmen von rund 1,8 Milliarden Franken entstehen. Der Nationalrat muss einen Vorschlag ablehnen, der die Staatsfinanzen derart stark beschneidet, ablehnen. Der Ständerat dürfte sich weiterhin entschieden dagegen stellen, da er die Aufhebung der Stempelsteuer für das Eigenkapital im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III letztlich abgelehnt hat.
Nationalrat – Motion SP-Fraktion. Schliessen von Steuerlücken bei schweizerischen Unternehmen mit Offshore-Gesellschaften (14.3116). Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, den Vereinigten Staaten oder Deutschland verfügt die Schweiz nicht über eine spezifische Steuergesetzgebung für beherrschte ausländische Unternehmen (Controlled Foreign Corporations – CFC) (CFC-Vorschriften), um rechtlichen Konstruktionen einen Riegel zu schieben, die Steuerhinterziehung ermöglichen Die CFC-Vorschriften verhindern, dass der Steuerpflichtige Steuerersparnisse realisiert, indem er gewisse passive Einkünfte (z. B. Zinsen) in Off¬shore-Unternehmen verlagert. Travail.Suisse unterstützt die Motion, die einen gewissen zusätzlichen Druck im Rahmen des Aktionsplans «BEPS (Base Erosion and Profit Shifting)» der OECD ausüben könnte.
Ständerat – Motion Berberat. Aufschub des Stabilisierungsprogramms um ein Jahr (15.4268). Als Argumente werden die Konjunkturschwäche und die Tendenz einer steigenden Arbeitslosigkeit angeführt. Ausserdem soll die letzte Konjunkturstütze, die Binnennachfrage, durch ein Sparpaket nicht weiter ausgebremst werden. Travail.Suisse empfiehlt die Motion aus den genannten Gründen zur Annahme, aber auch weil der Stand der Bundesfinanzen kein Stabilisierungsprogramm im geplanten Ausmass rechtfertigt. Die Schweiz muss im Gegenteil den bestehenden finanziellen Handlungsspielraum nutzen, um das Ausgabenniveau für grundlegende Aufgaben für die Zukunft unseres Landes, wie Bildung, Forschung und die Entwicklung verschiedener öffentlicher Infrastrukturen, beizubehalten.
Nationalrat – Motion FDP-Liberale Fraktion. Gewinnausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank. Schuldenabbau statt Mehrausgaben (14.3148). Travail.Suisse setzt sich für die Ablehnung dieser Motion ein, wie das im Übrigen auch der Bundesrat tut. Im Gegensatz zu den Ausführungen der Motion stellen die Gewinnausschüttungen der SNB die Unabhängigkeit und die Stabilität der SNB sowie das Gleichgewicht der Bundesfinanzen nicht in Frage. Falls notwendig, kann das Parlament die strukturellen Überschüsse, deren Betrag dem Gewinnanteil der SNB für den Bund entspricht, bereits budgetieren. Im Übrigen sind die Schulden des Bundes im vergangenen Jahrzehnt bereits stark zurückgegangen: von rund 25 Prozent im Jahr 2002 auf 17 Prozent des BIP im Jahr 2014. Es gibt diesbezüglich also gar keinen Handlungsbedarf.
Nationalrat – Motion Finanzkommission. Endlich vorwärts zur Individualbesteuerung auch in der Schweiz (16.3006). Diese Motion verlangt bei einer Ablehnung der CVP-Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» die Einführung der Individualbesteuerung in der Schweiz über eine Gesetzesvorlage. So würde eine moderne und vollumfängliche Lösung zur Beseitigung der Steuerungleichheiten zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren eingeführt. Die Individualbesteuerung ist in zahlreichen europäischen Ländern die Norm. Travail.Suisse spricht sich grundsätzlich eher für die Individualbesteuerung aus. Es geht dabei nicht nur darum, mögliche Ungleichbehandlungen bei verheirateten und Konkubinatspaaren zu eliminieren – die durch verschiedene Splittingmodelle übrigens bereits weitgehend beseitigt wurden. Diese Art der Besteuerung wirkt sich auch am vorteilhaftesten auf den Beschäftigungsgrad der Frauen aus. Travail.Suisse ist daher offen für die Diskussion, warnt aber schon jetzt davor, dass das oder die gewählten Modelle der Individualbesteuerung nicht zu Steuerverlusten für das Gemeinwesen führen dürfen.