Am 28. Februar wird in der Schweiz über die Durchsetzungsinitiative abgestimmt. Es handelt sich dabei nicht nur um eine politische Zwängerei und einen Angriff auf die Grundrechte sowie die europäische Menschenrechtskonvention. Die Initiative stellt ausserdem den Rechtsstaat in Frage und gefährdet unseren Wohlstand und die wirtschaftliche Entwicklung. Für Travail.Suisse, den unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, ist klar, dass diese Initiative nicht zuletzt mit Blick auf die Wirtschaft und die Interessen der Arbeitnehmenden abgelehnt werden muss.
Die Ausschaffungsinitiative ist mit einem sehr strengen Gesetz umgesetzt worden. Dass aber dennoch im einzelnen Fall eine Beurteilung vorgenommen wird, gebietet nicht nur die Bundesverfassung mit dem darin verankerten Verhältnismässigkeitsprinzip, sondern ebenso der schweizerische Rechtsstaat. Dieser überlässt zwar über die Gewaltentrennung der Legislative die Gesetzgebung, überträgt aber die Rechtssprechung der Judikative und damit dem richterlichen Ermessen. Mit dem in der Durchsetzungsinitiative vorgesehenen Automatismus bei der Ausschaffung wird diese Gewaltentrennung ausgehebelt und Gerichte werden zu reinen Umsetzungsinstanzen gemacht.
Über zwei Millionen Personen in der Schweiz wären von der Durchsetzungsinitiative direkt betroffen, indem sie andauernd der Gefahr ausgesetzt sind – auch aufgrund von Bagatelldelikten – ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Betroffen sind Secondas und Secondos als bestens integrierte und wichtige Mitglieder unserer Gesellschaft ebenso wie wertvolle ausländische Fachkräfte für den Arbeitsmarkt. Betroffen sind aber auch alle anderen – als Verwandte, Lebensgefährten oder Freunde und Bekannten von den Direktbetroffenen.
Travail.Suisse lehnt diese Initiative aus ethischen, juristischen und gesellschaftspolitischen Gründen entschieden ab. Aber auch die wirtschaftliche Sicht und der Blick auf die Interessen der Arbeitnehmenden sprechen klar dagegen.
Zusätzliche Bedrohung der Bilateralen Verträge
Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 steckt die Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union in einer schwierigen Lage. Die Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung bleibt auch zwei Jahre nach der Abstimmung unklar. Ein Gesuch zur Neuverhandlung des Personenfreizügigkeitsabkommens hat die EU bisher abgelehnt. Der Bundesrat plant eine Umsetzung über eine – notfalls auch unilateral – verhängte Schutzklausel. Er belastet damit das Verhältnis zur EU zusätzlich, folglich ist ein Wegfall der durch die Guillotineklausel verbundenen bilateralen Verträge nach wie vor nicht auszuschliessen. Die Unsicherheit über die zukünftigen Beziehungen mit unseren direkten Nachbarn und mit Abstand wichtigsten Handelspartnern und insbesondere das Damoklesschwert eines Wegfalls der bilateralen Verträge hängt seit über zwei Jahren bedrohlich über der Schweiz und trägt seinen Teil zum momentan gebremsten Wirtschaftswachstum in der Schweiz bei. Es droht ein Rückfall in den wirtschaftlichen Krebsgang der 90er Jahre, der mit dem EWR-Nein einsetzte, ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation mit über 5 Prozent Arbeitslosen brachte und erst durch die Einführung der bilateralen Verträge überwunden werden konnte.
Im ganzen Prozess einer EU-kompatiblen Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung ist die Durchsetzungsinitiative ein weiterer Stolperstein. Die automatische Ausschaffung selbst bei Bagatelldelikten widerspricht der Personenfreizügigkeit. Der Inhalt der Durchsetzungsinitiative missachtet deshalb nicht nur die Europäische Menschenrechtskonvention, sondern verstösst auch vorsätzlich gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen und rückt eine einvernehmliche Lösung mit der EU in weite Ferne.
Verlust von Rechtssicherheit gefährdet Standortvorteil
In international vergleichenden Berichten zur Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit nimmt die Schweiz regelmässig einen Spitzenplatz ein. Beispielsweise rangiert sie für 2015 bereits zum siebten Mal in Folge auf dem ersten Platz des Global Competitiveness Index des World Economic Forum. Dazu tragen nicht zuletzt die stabilen Rahmenbedingungen und ein unabhängiger und verlässlicher Rechtsstaat entscheidend bei. Die angenommene Masseneinwanderungsinitiative bringt bereits grosse Unsicherheit über die zukünftigen Beziehungen mit unseren direkten Nachbarn und beeinflusst das wirtschaftliche Klima negativ. Mit der Durchsetzungsinitiative soll zusätzlich eine grosse und anhaltende Rechtsunsicherheit geschaffen werden. Es ist absehbar, dass dies den Standort Schweiz schwächt, die wirtschaftliche Entwicklung hemmt und Arbeitsplätze in Gefahr bringt. Kurz: Die absichtliche Verletzung von internationalen Verträgen und das Ignorieren der europäischen Menschrechtskonvention sind auch wirtschaftlich gefährlich und eines Landes wie der Schweiz schlicht unwürdig!
Die Durchsetzungsinitiative ist ein politisches Projekt, das die parlamentarische Arbeit missachtet, die Gewaltentrennung attackiert und Grundrechte ausser Kraft setzt, das die Gesellschaft spaltet und die Integration erschwert, das die Beziehung zu unseren Nachbarn zusätzlich belastet und Wohlstand und Arbeitsplätze gefährdet. Einer solchen Initiative ist konsequent entgegenzutreten und im Interesse der Arbeitnehmenden und der gesamten Gesellschaft an der Urne mit einem Nein eine deutliche Absage zu erteilen.