Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, hat zum zehnten Mal in Folge die Managerlöhne, resp. die Lohnschere, unter die Lupe genommen. Fazit: Im Jahr 2013 hat sich die Lohnschere der Konzernleitungen von 18 von 27 untersuchten Unternehmen geöffnet, das sind so viele, wie seit 2007 – also dem Jahr vor der Finanzkrise – nicht mehr. Ausserdem stiegen die Vergütungen bei den restlichen Konzernleitungsmitgliedern in den letzten zwei Jahren massiv an. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass die Abzockerinitiative keine Wirkung entfaltet.
Die Datenbasis der Managerlohnstudie beruht auf einer Datenbasis, die bis ins Jahr 2002 zurückreicht. Damit ermöglicht sie nicht nur eine Interpretation der jüngsten Entwicklungen, sondern macht auch langfristige Trends sichtbar. Die diesjährige Untersuchung lässt folgende vier Schlüsse zu:
- Aus der Big5 1 , die bis 2007 Lohnscheren von über 1:400 bezahlt hat, wurde eine Big7 2 , deren Vergütung sich seit 2010 auf unverschämt hohen Niveau bei 1:200 eingependelt hat.
- Die mittleren Unternehmen schliessen bei der durchschnittlichen Konzernleitungsvergütung zur Big5 auf.
- Praktisch flächendeckender stiegen die durchschnittlichen Konzernleitungssaläre in den letzten zwei Jahren an.
- Ein Effekt der Abzocker-Initiative ist nicht zu erwarten.
Kreis mit Starentlöhnung ist gewachsen
Fünf 3 Konzerne bezahlten im vergangen Jahr Saläre, die mehr als 200 Mal so hoch wie der jeweilige Tiefstlohn 4 im gleichen Unternehmen waren. Am weitesten öffnete sich die Lohnschere 2013 bei Nestlés CEO Paul Bulcke (1:230). Aber auch ABB (CEO Joe Hogan, 1:182) und die Credit Suisse (CEO Brady Doguan, 1:175) bezahlen ähnliche Saläre. Die höchste Vergütung erhielt Roche CEO Severin Schwan mit 13.7 Mio. CHF unmittelbar vor Novartis CEO Joseph Jimenez, der im letzten Jahr 13.2 Mio. CHF erhalten hat. Über 5 Mio. CHF Salär an eine Person haben auch Lonza, Zurich, Clariant und Oerlikon bezahlt. Diese elf Unternehmen stellen 2013 sämtliche 42 Mitglieder des Lohnkartells 5 .
Über die letzten zwölf Jahre lässt sich bei der Starentlöhnung eine gewisse Stabilisierung feststellen. Bis zur Finanzkrise erreichten die Big5 noch Lohnscheren von über 1:400. Seit 2010 hat sich die Lage auf einem absurden Niveau von 1:200 eingependelt.
Jetzt bedienen sich die Konzernleitungen
Mit dem Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise sind auch die Saläre in den Konzernleitungen der Schweizer Topfirmen gesunken. Konnte man bis 2007 noch einen starken Anstieg erkennen, so sanken die Saläre bei den Big5 bis 2010 und sind auch 2013 tiefer als zu Beginn der Untersuchung. Bei den restlichen Firmen der Stichprobe konnte hingegen das Gegenteil festgestellt werden. Vor allem Konzerne wie Lonza, Implenia und Kuoni stechen hier heraus. Bei diesen Konzernen ist die durchschnittliche Konzernleitungsvergütung in den letzten zwölf Jahren um über 200 Prozent gestiegen.
Auffallend ist, dass in den letzten zwei Jahren wieder ein starker Anstieg der Konzernleitungsvergütung zu beobachten war. Im Vorjahr öffnete sich die Lohnschere bei 22 von den 27 beobachteten Unternehmen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat es nie mehr eine praktisch flächendeckende Öffnung der Lohnschere gegeben. So stieg sie in den letzten zwei Jahren bei der UBS von 1:109 auf 1:147, bei ABB von 1:78 auf 1:101 oder bei Lonza von 1:25 auf 1:47. Durchschnittlich ist die Lohnschere bei den Konzernleitungsmitgliedern in den letzten zwei Jahren um 13 Prozent gestiegen.
Ein Jahr nach Annahme der Abzocker-Initiative öffnet sich die Lohnschere flächendeckend. Dies zeigt, dass das klare Votum gegen überrissene Bezüge durch die Stimmbevölkerung nicht gehört wurde. Ebenfalls zu bezweifeln ist, dass sich die Aktionärinnen und Aktionäre gegen die Vergütungspolitik der Konzerne stellen. So wurden die der Generalversammlung dieses Jahr vorgeschlagenen Vergütungsberichte jeweils mit einem hohen Ja-Anteil bei den konsultativen Befragungen angenommen. Auch bei den Konzernen, welche die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Unternehmen (VegüV) bereits dieses Jahr umgesetzt haben 6 , gab es keinen Widerstand der Generalversammlung.
Graben zwischen der Wirtschaft und Bevölkerung
Die Salärentwicklung in den Chefetagen stösst in der Bevölkerung bereits seit längerer Zeit auf ein breites Unverständnis. Dies hat sich auch bei der Abstimmung der Abzocker-Initiative gezeigt welche 2013 überraschend angenommen wurde. Die klare Annahme dieser Initiative war bereits ein starkes Signal dafür, dass ein zunehmender Unmut in der Bevölkerung bezüglich der Vergütung von Topmanager vorhanden ist, der sich auch zuvor in Bezug auf das 12-Millionen Konkurrenzverbot des ehemaligen Novartis CEO Daniel Vasella gezeigt hat. Politik und Wirtschaftsverbände haben diese klaren Anzeichen nicht erkannt. Einer zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung von den wirtschaftlichen Leistungsträgern ist augenfällig. Breite Bevölkerungsschichten sind der Auffassung, dass vor allem eine kleine Schicht vom wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz profitiert. Anders ist es nicht zu erklären, dass in der Schweiz der erfolgreiche bilaterale Weg in Frage gestellt wird und ein normalerweise liberales Volk sämtlichen Wirtschaftsverbänden und der praktisch geschlossen aufgetretenen Politik eine Absage erteilt.
Es ist höchste Zeit das Vertrauen der Bevölkerung wieder aufzubauen. Das auf Solidarität aufbauende Schweizer System muss vermehrt betont werden damit die breite Bevölkerung den eigenen Nutzen an der wirtschaftlichen Entwicklung sehen kann. Daher fordert Travail.Suisse folgende Massnahmen:
• Steuertransparenz und Solidaritätsbeitrag bei hohen Einkommen: Das ja zur Abzocker-Initiative hat gezeigt, dass die hohen Saläre gesellschaftlich nicht akzeptiert werden. Wenn diese Saläre aber nicht direkt limitiert werden sollen, dann muss die Politik den Nutzen für die Allgemeinheit erhöhen und explizit machen. Daher fordert Travail.Suisse für Einkommen ab beispielsweise 500‘000 Franken volle Steuertransparenz und einen Solidaritätsbeitrag, der über eine Sonderprogression bei der Einkommenssteuer oder einem zusätzlichen Beitrag an die AHV geleistet werden kann.
• Tiefsteuerpolitik für hohe Einkommen und Unternehmen beenden: Von der Steuerpolitik in den letzten Jahren profitierten primär Personen mit hohen oder sehr hohen Einkommen. Gleichzeitig sind mit der Unternehmenssteuerreform III erneut massive Steuergeschenke an die Unternehmen geplant. Unter der daraus resultierenden Sparpolitik der Kantone leidet vor allem der Mittelstand und Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen.
• Lohnschutz stärken: Damit das Vertrauen in die Wirtschaft steigt, muss auch die arbeitende Bevölkerung sich gerecht behandelt fühlt. Ein starker Schutz der Löhne mit regionalen und branchenspezifischen Mindestlöhnen notwendig, damit Arbeitnehmende keine Angst vor Arbeitsplatzverlust und Lohndumping haben müssen.
Travail.Suisse fordert, dass die Verteilungsgerechtigkeit erhöht und für alle sichtbar gemacht wird. Nur mit diesen Massnahmen kann erreicht werden, dass das Erfolgsmodell Schweiz nicht weiter in Frage gestellt wird und Kompromisse zwischen Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zur Gestaltung der Schweiz gefunden werden können, die das Wohl aller erhöhen und nicht nur ein Ausdruck des Unmutes darstellen.
_____
1 Nestlé, Credit Suisse, UBS, Novartis und Roche
2 Lindt & Sprüngli und ABB
3 Nestlé, UBS, Roche, Novartis sowie Lindt & Sprüngli
4 Angabe der Unternehmen oder Information aus entsprechendem GAV oder der Lohnstrukturerhebung
5 Alle Verwaltungsräte und Konzernleitungsmitglieder die mindestens eine Lohnschere von 1:100 haben.
6 Roche, Clariant, Oerlikon, Bâloise und Helvetia.