In der kommenden Session wird das Parlament wiederum viele Geschäfte beraten, die für die Arbeitnehmenden von zentraler Bedeutung sind. Die Haltung von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, zu ausgewählten Geschäften ist im Folgenden kurz zusammengefasst.
Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik
Ständerat – Volksinitiative „Für den Schutz fairer Löhne“ (13.014): Die ständerätliche WAK empfiehlt die Initiative „Für den Schutz fairer Löhne“ zur Ablehnung. Dass gleichzeitig auf einen (direkten oder indirekten) Gegenvorschlag verzichtet wird, ist für Travail.Suisse sehr enttäuschend. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist das Vertrauen der Schweizer Arbeitnehmenden in die Wirtschaft erschüttert und die negativen Auswirkungen der Zuwanderung werden sehr sensibel zur Kenntnis genommen. In diesem Umfeld braucht es eine verantwortungsvolle Politik, die den Schutz von Arbeitsbedingungen und Löhnen verbessert und das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen vermag. Diese Chance hat die WAK des Ständerrates verpasst. Es bleibt zu hoffen, dass die Vertreter des Nationalrates die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung ernster nehmen und Vorschläge einbringen, die den Schutz von Arbeitsbedingungen und Löhnen verbessern.
Sozialpolitik
Nationalrat – Mo. FDP-Fraktion. Berufliche Vorsorge. Mindestzinssatz entpolitisieren (11.3778): Die Motion fordert, den Mindestzinssatz künftig mittels einer automatisch angewendeten Formel an die Situation in den Finanzmärkten anzupassen. Wie auch der Bundesrat lehnt Travail.Suisse die Motion ab. Es wurde bis jetzt keine Formel gefunden, die sowohl sachlich wie auch politisch von allen Seiten akzeptiert wird. Der Mindestzinssatz ist ein wichtiger Faktor für die künftige Rentenhöhe der Versicherten und damit für die Erreichung des verfassungsmässigen Leistungsziels. Er ist per se immer auch politisch. Um die Entscheidungsprozesse zur Festlegung des Mindestzinssatzes zu versachlichen, ist vielmehr ein Wechsel des Festlegungszeitpunktes angebracht: Der Mindestzinssatz sollte nicht mehr im Voraus, sondern per Ende des betroffenen Jahres in Kenntnis der erfolgten Entwicklung an den Finanzmärkten festgelegt werden.
Nationalrat – Mo. FDP-Fraktion. Mindestumwandlungssatz entpolitisieren (11.3779): Die Motion fordert, dass der Mindestumwandlungssatz nicht mehr von politischen Entscheiden abhängt, sondern automatisch unter Berücksichtigung der Lebenserwartung, des angesparten Kapitals und der erzielbaren Renditen festgelegt wird. Travail.Suisse lehnt wie der Bundesrat die Motion ab. Der Mindestumwandlungssatz ist für die Bestimmung der Rentenhöhe und damit für die Erreichung des verfassungsmässigen Leistungsziel von entscheidender Bedeutung. Seine Festlegung ist deshalb nicht nur eine technische Angelegenheit. Der politische Prozess muss dafür sorgen, dass auch bei einer Senkung des Mindestumwandlungssatzes das Verfassungsziel erreicht wird. Eine verbindliche Formel, wenn sie denn gefunden werden könnte, würde angesichts der Schwankungen auf den Finanzmärkten zu jährlichen Veränderungen führen. Der Umwandlungssatz ist jedoch die Basis für die Ausbezahlung von langfristigen Leistungen (Rente). Die damit einher gehende Planungsunsicherheit läuft dem Sinn und Zweck des Systems der Altersvorsorge zuwider. Eine jährliche Umstellung hätte zudem für die Vorsorgeeinrichtungen eine massive Zunahme der Verwaltungskosten zur Folge.
Nationalrat – Mo. FDP-Fraktion. AHV-Schuldenbremse rasch einführen (12.3553): Die Motion fordert den Bundesrat auf, dem Parlament raschmöglichst eine separate Vorlage vorzulegen, welche die Einführung einer Schuldenbremse, wie sie in der gescheiterten 11. AHV-Revision geplant war, vorsieht. Travail.Suisse lehnt wie der Bundesrat die Motion ab. Die Frage muss im Gesamtpaket zur Reform der Altersvorsorge 2020 diskutiert werden. Travail.Suisse lehnt zudem automatische Rentenkürzungen im Rahmen eines Interventionsmechanismus ab. Diese sind zudem, wie sich in der ebenfalls gescheiterten IV-Revision 6b gezeigt hat, nicht mehrheitsfähig. Wenn ein Interventionsmechanismus gewählt wird, muss dieser einnahmeseitig ansetzen.
Nationalrat – Mo. Parmelin. Die AHV den Gegebenheiten der heutigen Gesellschaft anpassen (11.4115): Die Motion fordert, dass Kindern von AHV-Bezüger/innen keine Kinderrente mehr ausbezahlt wird. Travail.Suisse lehnt die Motion ab. Kinder stellen neben viel Freude auch eine finanzielle Belastung dar. Dies gilt auch für Eltern, die bereits im Rentenalter sind. Im Rahmen der IV-Revision 6b hat sich zudem gezeigt, dass ein Antasten der Kinderrenten nicht mehrheitsfähig ist. Der Bundesrat hat seine Eckwerte zur Altersvorsorge 2020 vorgelegt. Es ist nicht angezeigt, jetzt einzelne Themen separat vorzuziehen.
Ständerat – Mo. Nationalrat (SGK). Vorsorgeschutz von Arbeitnehmenden mit mehreren Arbeitgebern oder mit tiefen Einkommen (12.3974): Der Bundesrat soll beauftragt werden, im Rahmen der Reform der Altersvorsorge Massnahmen aufzuzeigen, welche die Situation von Arbeitnehmenden mit mehreren Arbeitgebern in der beruflichen Vorsorge sowie die Situation von Arbeitnehmenden mit tiefen Einkommen verbessern. Travail.Suisse empfiehlt wie der Bundesrat die Annahme der Motion. Heute sind diese Personengruppen insbesondere in der beruflichen Vorsorge schlecht versichert, obwohl gerade sie auf eine anständige Altersrente angewiesen wären. Ein proportionaler Koordinationsabzug sowie eine Senkung der Eintrittsschwelle in der beruflichen Vorsorge sind geeignete Massnahmen, welche die Situation der genannten Personengruppen verbessern.
Gleichstellungspolitik
Nationalrat – Mo. Piller Carrard. Vaterschaftsurlaub (12.3565): Die Motion verlangt, dass Väter nach der Geburt ihres Kindes Anspruch auf 20 Tage bezahlten Urlaub haben. Von diesen 20 Tagen wären 5 obligatorisch in den ersten 10 Tagen nach der Geburt des Kindes zu beziehen und die restlichen nach Absprache mit dem Arbeitgeber in den 6 Monaten nach der Geburt. Dieser Vorschlag nimmt eine Forderung auf, die Travail.Suisse seit Jahren stellt. Sie folgt auf mehrere andere parlamentarische Vorstösse in dieser Richtung. Wenig überraschend lehnt der Bundesrat jegliche Ideen in diesem Bereich ab. Er verweist auf den Bericht über verschiedene Formen eines Vaterschaftsurlaubs, dessen Veröffentlichung bereits mehrmals verschoben wurde.
Nationalrat – Mo. Romano. Adoption von Kleinkindern. Hart geprüfte Familien unterstützen (12.3110): Für Familien, die ein Kind adoptieren, besteht kein gesamtschweizerischer Anspruch auf einen Urlaub. Der Mutterschaftsurlaub gilt nicht für Adoptivmütter. Diese Ungleichbehandlung will die Motion beseitigen. Der Adoptionsprozess ist lang, schwierig und manchmal auch kostspielig. Wenn Adoptiveltern endlich ein Kind adoptieren können, werden sie erneut „bestraft“, indem für eine Adoption nicht dieselben Bestimmungen gelten wie für eine Geburt. Eine solche gibt Anspruch auf einen Urlaub, damit die Mutter das Kind unter guten Bedingungen aufnehmen kann. Travail.Suisse unterstützt diese Motion, weil sie die seit Langem bestehende Ungleichbehandlung endlich in der ganzen Schweiz einheitlich regeln würde. Bisher können die Kantone im Rahmen der Erwerbsersatzordnung einen Adoptionsurlaub gewähren, was in der Hälfte der Kantone für das eigene Personal der Fall ist. Analog zu den Bestimmungen im Bereich des Mutterschaftsurlaubs müssen auch die Vorschriften für Adoptionen harmonisiert werden, ohne den Bericht des Bundesrats zu verschiedenen Formen des Elternurlaubs abzuwarten, der bereits seit Monaten vorliegen sollte.
Nationalrat – Po. Meier-Schatz. Dritter Familienbericht zur Situation der Familien in der Schweiz (12.3144): Der letzte Familienbericht ist schon fast zehn Jahre alt. Das Postulat verlangt, dass der Bundesrat sein Versprechen hält, den statistischen Teil zu aktualisieren. Ein neuer Bericht ist auch aus thematischer Sicht gerechtfertigt. Er soll die strukturellen Massnahmen analysieren, die zur Unterstützung der Familien in der Schweiz notwendig sind. Schliesslich verlangt das Postulat, dass die rechtlichen, ökonomischen und sozialen Folgen der verschiedenen Familienmodelle aufgezeigt werden. Travail.Suisse unterstützt dieses Postulat, denn die Statistiken werden zwar regelmässig auf der Website des BFS aktualisiert, eine vertiefte Analyse fehlt aber. Der Bundesrat lehnt das Postulat mit der Begründung ab, dass eine solche Analyse der aktuellen Situation – in der die Zuständigkeiten auf verschiedenen Stufen verteilt sind – zu kompliziert sei. Nach Ansicht von Travail.Suisse ist dieser Einwand nicht stichhaltig, da in der Schweiz das Know-how für eine solche Systemanalyse verfügbar ist.
Nationalrat – Mo. Fraktion BD. Tagesschulen. Förderung von national einheitlichen Strukturen und Qualitätsmerkmalen (12.3899): Die Fraktion BD fordert national einheitliche Strukturen und Qualitätsmerkmale für Tagesschulen, aber auch finanzielle Unterstützung. Travail.Suisse teilt die Meinung der Unterzeichnenden, dass der Besuch einer Tagesschule gefördert werden soll, weil er sich positiv auf Primarschulkinder auswirkt. Diese erwerben rasch bessere Sprachkompetenzen, ein positiveres Sozialverhalten sowie bessere Alltagsfertigkeiten als andere Kinder. Eine finanzielle Unterstützung für diese Schulen drängt sich auf, um Kantonen und Gemeinden einen Anreiz zu bieten, Tagesschulen einzuführen und die bisherigen Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung einzubinden und weiter zu entwickeln. Die Fraktion BD will dies über das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung erreichen. Es ist an den Kantonen, wie beim HarmoS-Konkordat einen Harmonisierungsprozess für die Qualitätskriterien einzuleiten. Die Frage der finanziellen Unterstützung muss noch gelöst werden.
Bildungspolitik
Nationalrat/Ständerat – Aus- und Weiterbildungskosten. Steuerliche Behandlung. Bundesgesetz (11.023): Travail.Suisse hat diese Vorlage im Grundsatz nur unterstützt, damit für die Steuerzahlenden mehr Klarheit bei der steuerlichen Behandlung der Aus- und Weiterbildungskosten herrscht. Leider hat sich die Debatte weit von der bundesrätlichen Vorlage entfernt. So ist zumindest an der ständerätlichen Begrenzung auf 12‘000 Franken festzuhalten, damit nicht anderen wichtigen Weiterbildungsvorhaben wie Bildungsgutscheinen für bestimmte Zielgruppen noch mehr der finanzielle Boden entzogen wird.
Ständerat – Po. Keller-Sutter. Potential inländischer Arbeitskräfte besser ausschöpfen (13.3382): Travail.Suisse unterstützt das Anliegen dieses Postulats. Es ist wichtig, dass Bund, Kantone und die Wirtschaft zusammen ein Massnahmenpaket ausarbeiten, dass das Potential inländischer Arbeitskräfte besser ausschöpft, insbesondere das Potential der Frauen (Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, optimierter Wiedereinstieg), von älteren Arbeitnehmenden (altersgerechte Weiterbildung, horizontale Karrieren, Altersteilzeit) und von Personen ohne Berufsabschluss (Nachholbildung, Validierung von Kompetenzen). Dabei muss – wie SR Keller-Sutter zu recht sagt -, die Wirtschaft „vermehrt in inländische Arbeitskräfte ‚investieren‘ und das mittelfristige Augenmerk auf die verbesserte Ausschöpfung des einheimischen Potentials legen“. Das Weiterbildungsgesetz, das gegenwärtig im Parlament zur Diskussion steht, und auch eine Revision des Berufsbildungsgesetzes Art.30-32, könnten hier wichtige Impulse liefern.
Ständerat – Ip. Fetz. Case Management Berufsbildung. Künftige Rolle und Finanzierung des Bundes (13.3481): Travail.Suisse teilt die Sorge der Interpellation Fetz, ist aber der Überzeugung, dass nur eine Verankerung des Case Managements im Art. 12 BBG, verbunden mit konkreten Forderungen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Case Managements, zu einer Stärkung des Case Managements führen kann. Das Case Management Berufsbildung ist eine wichtige Errungenschaft der letzten Jahre. Sie hilft jungen Menschen mit Schwierigkeiten sich auf dem Lehrstellenmarkt besser zu behaupten. Damit werden längerfristigen Problemen dieser jungen Menschen vorgebeugt und indirekt auch die Sozialkosten der öffentlichen Hand minimiert. Aus diesen Gründen muss das Case Management erhalten bleiben und gestärkt werden.
Der Bund hat bisher über Art. 54/55 BBG (Projektfonds) den Aufbau des Case Managements in den Kantonen mitfinanziert und über Art. 53 (Pauschale an die Kantone) die Massnahmen finanziell mitgetragen. Nach dem Aufbau des Case Managements in den Kantonen ist der Bund aber weiterhin verpflichtet, über Art. 53 die kantonalen Massnahmen des Case Managements im Bereich der Berufsbildung mitzufinanzieren. Eine Erwähnung des Case Managements im Art. 53 kann die finanzielle Beteiligung des Bundes dabei nicht erhöhen, da der Bund heute schon die gesetzlichen Möglichkeiten mit 25% voll ausschöpft. Die Erwähnung des Case Managements im Art. 53 hat damit nur einen symbolischen Wert. Soll das Case Management wirklich gestärkt werden, so kann dies nach Meinung von Travail.Suisse nur über den Art. 12 BBG gehen.
Migrationspolitik
Ständerat – Bürgerrechtsgesetz. Totalrevision (11.022): Der Nationalrat hatte den Entwurf des Bundesrates erheblich verschärft. Es ist erfreulich, dass jetzt die SPK-S eine Revision vorschlägt, die sehr nahe an jener des Bundesrates liegt. Dies trotz den Anpassungen, die den Kantonen mehr Spielraum belassen. Travail.Suisse hofft, dass der Ständerat seiner Kommission folgen wird, insbesondere was die minimale Aufenthaltsdauer (acht Jahre), die Anrechnung der vorläufigen Aufnahme und die doppele Berechnung der Zeit, welche die Bewerbenden als Jugendliche in der Schweiz verbracht haben, betrifft.
Steuerpolitik
Ständerat – Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspaket. Bundesgesetz (12.101): Nachdem der Nationalrat den Entwurf an den Bundesrat zurückgewiesen und diesen beauftragt hat, zwei Szenarien zu prüfen, fordert Travail.Suisse den Ständerat auf, das Konsolidierungsprogramm abzulehnen. Die Finanzlage der Schweiz ist gut, und die Voranschläge sind seit mehr als einem Jahrzehnt durchwegs zu pessimistisch. Es ist sicher nicht wünschenswert, dass die Schweiz bei zahlreichen Aufgaben von öffentlichem Interesse spart, gleichzeitig aber das Budget für die Armee erhöht und Steuersenkungen für Unternehmen plant. Falls sich der Ständerat wie schon der Nationalrat für eine Rückweisung an den Bundesrat ausspricht, soll nur das Szenario II geprüft werden, das eine Gesamtanalyse über die Auswirkungen der aktuell zur Diskussion stehenden Steuerreformen verlangt.