In der kommenden Session wird das Parlament viele Geschäfte behandeln, die für die Arbeitnehmenden von zentraler Bedeutung sind. Die Haltung von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband von 170’000 Arbeitnehmenden, zu ausgewählten Geschäften ist im Folgenden kurz zusammengefasst.
Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik
Stände- und Nationalrat – Pa.Iv. Lüscher. Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops (09.462): Die parlamentarische Initiative Lüscher weicht das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot im Arbeitsgesetz weiter auf. Dieser Liberalisierungsschritt ist unnötig und schädlich für die betroffenen Arbeitnehmenden. Travail.Suisse wünscht, dass der Ständerat nicht auf die Vorlage eintritt, oder falls er das dennoch tut, das Nachtarbeitsverbot in Tankstellenshops nur auf Autobahnraststätten aufhebt. Beim Differenzbereinigungsverfahren verlangt Travail.Suisse, dass der Nationalrat seinen Entscheid aus der Sommersession korrigiert und die Rund-um-die-Uhr-Öffnungszeiten von Tankstellenshops nur auf Autobahnen oder allenfalls Hauptverkehrsstrassen mit starkem Reiseverkehr erlaubt. Wird diese Korrektur nicht gemacht, unterstützt Travail.Suisse das Referendum gegen die Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops.
Ständerat – Motion der WAK-Nationalrat: Sanierung der Arbeitslosenversicherung (11.3755): Damit die Schulden der Arbeitslosenversicherung schneller getilgt werden können, wurde auf der Beitragsseite ein Solidaritätsprozent auf Löhnen zwischen 126’000 und 315’000 Franken eingeführt. Nun soll das Arbeitslosenversicherungsgesetz dahingehend geändert werden, dass auch auf Einkommen über 315’000 Franken ein Solidaritätsprozent erhoben wird. Damit kann die Schuldenlast um zusätzliche 90 Millionen pro Jahr getilgt werden. Travail.Suisse fordert den Ständerat auf, es dem Nationalrat gleichzutun und diese Motion anzunehmen.
Nationalrat – Volksinitiative 1:12 – Für gerechte Löhne (12.017): Nachdem die Bonussteuer in der Sommersession in der Schlussabstimmung gescheitert ist, sind weder die Abzockerinitiative noch der indirekte Gegenvorschlag in der Lage, die sich immer massiver öffnende Lohnschere innerhalb von Unternehmen zu bremsen. Deshalb ist es wichtig, dass der Nationalrat die 1:12 Initiative annimmt oder, falls er dies nicht tut, einen wirkungsvollen Gegenvorschlag zur Beschränkung von Lohnexzessen erarbeitet.
Ständerat – Personenfreizügigkeit – Flankierende Massnahmen – Bundesgesetzanpassung – Entwurf 2 (12.039) (Subunternehmerhaftung): Die dringende Problematik der Subunternehmerhaftung von Erstunternehmen muss rasch und wirksam gelöst werden. Travail.Suisse fordert eine Kettenhaftung, das heisst eine Solidarhaftung des Erstunternehmers, welche die ganze Subunternehmerkette umfasst. Die Variante der WAK-Ständerat, der es dem Erstunternehmer ermöglicht, sich mittels eines schriftlichen Vertrags mit seinem Subunternehmer von der Haftung zu befreien, ist wirkungslos. Sie lädt geradezu ein, durch eine Weitervergabe von Aufträgen an Subsubunternehmen die schweizerischen Arbeitsbedingungen zu umgehen und Lohndumping zu betreiben. Travail.Suisse erwartet, dass der Ständerat in der Herbstsession den Entscheid seiner Kommission korrigiert und eine Haftung des Erstunternehmers über die ganze Subunternehmerkette beschliesst.
Familien und Sozialpolitik
Nationalrat – Motion Rahmengesetz für Sozialhilfe (12.3013): Der Bundesrat wird in dieser Kommissionsmotion der SGK-Nationalrat beauftragt, ein schlankes Rahmengesetz für die Sozialhilfe vorzulegen. Eine solche Harmonisierung soll Doppelspurigkeiten und Lücken sowie bekannte Mängel wie z.B. gewisse Schwelleneffekte im Bereich der Sozialhilfe beseitigen und sicherstellen, dass das vom Staat zur Verfügung gestellte Geld zielgerichtet eingesetzt ist. Dabei geht es nicht darum, die kantonale Hoheit in Frage zu stellen, sondern gemeinsame Rahmenbedingungen festzulegen. Obwohl Sozialhilfeleistungen nur einen kleinen Teil der gesamten Sozialausgaben ausmachen, stellen sie kein Randphänomen der sozialen Sicherheit dar und sind insbesondere bei Alleinerziehenden, Kindern und jungen Erwachsenen sehr bedeutend. Travail.Suisse begrüsst eine Harmonisierung, welche mehr Verbindlichkeit und klare Rahmenbedingungen schafft. Klare und allgemein anerkannte Rahmenbedingungen führen zu einer besseren Akzeptanz der Sozialhilfe, sowohl bei den Betroffenen als auch bei der Gesamtbevölkerung. Travail.Suisse empfiehlt deshalb die Annahme der Motion.
Nationalrat – Standesinitiative Genf. Bundesgesetz über die Familienzulagen (09.321): Artikel 7 des neuen FamzG regelt, welcher Elternteil zuerst Anspruch auf Familienzulagen hat. Die Initiative verlangt eine Anpassung des Bundesgesetzes und des ATSG, so dass die Personen, welche die Kinder tatsächlich betreuen, die zustehenden Familienzulagen ausnahmslos und ohne kompliziertes Verfahren erhalten. Die heutige Regelung ist kompliziert und schwerfällig. Es kann mehrere Monate dauern, bis die notwendigen Abklärungen getroffen sind und alleinerziehende Personen die Familienzulagen tatsächlich erhalten. Oft befinden sich die betroffenen Personen – die Mehrzahl von ihnen Frauen – in einer wirtschaftlich schwierigen Situation und können eine solche Lücke im Familienbudget nicht verkraften, auch wenn die Zulagen schliesslich rückwirkend ausbezahlt werden. Werden die Familienzulagen automatisch derjenigen Person ausgerichtet, in deren Obhut sich die Kinder befinden, können diese Probleme vermieden werden. Travail.Suisse unterstützt deshalb die Standesinitiative Genf.
Nationalrat – Mo. Piller Carrard. Vaterschaftsurlaub (12.3565): Die Motion fordert die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs von 20 Tagen, wovon 5 Tage obligatorisch in den ersten 10 Tagen nach der Geburt zu beziehen sind; die restlichen 15 Tage können flexibel in den sechs Monaten nach der Geburt bezogen werden. Travail.Suisse unterstützt diese Motion, die eine eigene bereits vor mehreren Jahren gestellte Forderung aufgreift. Travail.Suisse wird jede Massnahme, die zur Einführung eines Elternurlaubs von mehreren Monaten führt, bei dem jeder Elternteil Anspruch auf einen bezahlten und ihm vorbehaltenen Zeitraum hat. Der Mutterschaftsurlaub hingegen darf nicht in Frage gestellt werden.
Nationalrat – Mo. Romano Adoption von Kleinkindern. Hart geprüfte Familien unterstützen (12.3110): Der Text verlangt, dass der ungleichen Behandlung von Familien, die eigene Kinder haben, und Familien, die Kinder adoptieren, ein Ende gesetzt wird. Mütter sollen den gegenwärtigen Mutterschaftsurlaub erhalten und Väter sollen in den Genuss jener Bestimmungen kommen, die in Zukunft eingeführt werden. Travail.Suisse ist grundsätzlich für einen Elternurlaub, der Frauen und Männern ermöglicht, über die notwendige Zeit für die Aufnahme des Kindes in den ersten Lebensjahren zu verfügen, ob es sich nun um ein eigenes oder ein adoptiertes Kind handelt.
Nationalrat – Po. Gilli. Wenn Väter sich für die Familie engagieren, gefährden sie ihre Gesundheit (12.3478): Väter, die trotz fehlender angemessener Bestimmungen, bei der Geburt eines Kindes Urlaub nehmen (als Ferien oder Entschädigung für Überstunden), tun dies zu Lasten ihrer Gesundheit. Das Postulat beauftragt den Bundesrat, Lösungen für dieses Problem vorzuschlagen. Travail.Suisse unterstützt Massnahmen zu Gunsten der Väter, denn Ferien sollen der Erholung dienen. Die gegenwärtige Praxis widerspricht dem Gesetz und führt zu Müdigkeit und Stress über längere Zeit bei Arbeitnehmern und ihren Angehörigen.
Gleichstellungspolitik
Nationalrat – Mo. Simoneschi-Cortesi. Lohngleichheit. Kontrollmechanismus (10.3934): Die Motion zielt auf eine Änderung des Gleichstellungsgesetzes und die Einführung eines Kontrollmechanismus für die Löhne nach dem Modell der Kontrollmechanismen, die es in andern Gesetzen im Bereich der Arbeit bereits gibt. Travail.Suisse unterstützt diesen Vorschlag. Leider zeigen die Anstrengungen der Sozialpartner im Rahmen des Lohngleichheitsdialogs kaum Erfolg. Nur wenige Unternehmen überprüfen ihre Löhne freiwillig. Das Projekt der Sozialpartner läuft mit der Inkraftsetzung einer Gesetzesänderung aus. Es ist inakzeptabel, dass die Frauen die Folgen einer Aufschiebung einer notwendigen Gesetzesrevision zu tragen haben.
Internationale Politik
Ständerat – Ip. Seydoux. Durch ausländische Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen begangene Menschenrechtsverletzungen. Zugang der Opfer zur Justiz (12.3499): Travail.Suisse unterstützt die Kampagne „Recht ohne Grenzen“ und ist der Ansicht, dass diese Interpellation das Parlament sensibilisieren muss, damit multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ihre Verantwortung gegenüber den ausländischen Tochterfirmen wahrnehmen. Mittelfristig sollen die Muttergesellschaften in der Schweiz gegenüber ihren Tochterfirmen rechtlich haftbar werden.
Nationalrat – IAO. Übereinkommen Nr. 122: Nachdem der Ständerat einstimmig beschlossen hat, das Übereinkommen Nr. 122 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Beschäftigungspolitik zu ratifizieren, erwartet Travail.Suisse, dass eine grosse Mehrheit im Nationalrat dieses Vorhaben ebenfalls genehmigt. Die Ratifizierung dieses Übereinkommens, das zu den vier prioritären Übereinkommen unter den 189 Übereinkommen der IAO gehört, verstärkt die Glaubwürdigkeit der Schweiz im internationalen Umfeld für eine Politik der Vollbeschäftigung.
Migration/Asyl
Nationalrat – Pa.Iv. Müller Philipp. Rückstufung eines niedergelassenen integrationsunwilligen Ausländers zum Jahresaufenthalter (08.406) und Pa.Iv Pfister Gerhard. Integration gesetzlich konkretisieren (08.420): Es handelt sich dabei um Initiativen, deren Frist zur Behandlung bis zum Herbst 2012 verlängert wurde. Travail.Suisse schlägt vor, dass beide Initiativen aus dem Jahr 2008 abgeschrieben werden. Das Ausländergesetz soll mit einem Revisionsentwurf geändert werden, der in die von den Autoren gewünschte Richtung geht. Der herrschende Trend macht die Aufenthalts- und Niederlassungsgenehmigungen von immer strikteren Integrationsbedingungen abhängig.
_Nationalrat_- und Ständerat – Asylgesetz. Änderung (10.052): Travail.Suisse hofft, dass man auf einzelne Verschärfungen zurückkommt, welche die Kosten auf Kantone und Gemeinden verlagern, vor allem falls beschlossen würde, Asylsuchenden nur noch Nothilfe zu gewähren. In diesem Fall ist der Vorschlag der ständerätlichen Kommission zu unterstützen, die für Asylsuchende die Sozialhilfe beibehält, allerdings die Bedingungen für deren Gewährung verschärft.
Steuerpolitik
Nationalrat – Pa.Iv. Leutenegger Oberholzer. Stopp den Steuerprivilegien für reiche Ausländer (11.452): Nachdem das Parlament beschlossen hat, die Besteuerung nach Aufwand – allerdings mit Einschränkungen – beizubehalten, hat die WAK erwartungsgemäss die betreffende parlamentarische Initiative verworfen. Es wäre gut, wenn diese Initiative auch Stimmen aus der Mitte bekommen würde, damit verschiedene Steuerprivilegien, die reichen Ausländern zustehen, erfolgreicher bekämpft werden können.
Ständerat – Mo. Fetz. Unternehmenssteuerreform II. Kapitaleinlageprinzip. Ertragsausfälle erheblich verringern (12.3315) und Mo. Bischof. Unternehmenssteuerreform II. Kapitaleinlageprinzip anpassen. (12.3316): Erfreulicherweise hat der Bundesrat diese beiden Motionen angenommen, mit denen die erheblichen Steuerausfälle infolge der Unternehmenssteuerreform II reduziert werden sollen. Travail.Suisse empfiehlt dem Ständerat, beiden Motionen zuzustimmen. Ihr Ziel ist die Verringerung der Ausfälle über eine Änderung der Regeln des Kapitaleinlageprinzips und dank Gesetzesrevisionen beim Aktien- und Steuerrecht. Der Nationalrat hat diese beiden Motionen am 23. Dezember 2011 knapp abgelehnt. Bei Annahme der Motion im Ständerat ist der Bundesrat bereit, die Ausgestaltung der Revision mit einer Vernehmlassung zu eruieren.
Energiepolitik
Nationalrat – Mo. UREK-NR. Rahmenbedingungen für den Ersatz der Elektroheizungen (12.3340) und Ausarbeitung eines Masterplans für eine sinnvolle Entwicklung der Elektromobilität (12.3652): Der Bundesrat beantragt Annahme der beiden Motionen, was hoffentlich auch den Nationalrat zu deren Annahme bewegen wird. Die Motionen entsprechen der Energiestrategie 2050 des Bundes.
Service public
Ständerat – Für eine starke Post. Volksinitiative (11.038): Nach Ablehnung dieser Initiative durch den Nationalrat ist zu erwarten, dass der Ständerat denselben Entscheid fällt. Die Initiative hat jedoch eine massgebliche Rolle bei der Gesetzgebung gespielt, indem sie Druck für einen guten Service public im Bereich der postalischen Dienstleistungen ausübte.