Ein viel gehörtes Argument gegen mehr Ferien ist dasjenige, dass sich die Arbeit während den Ferien aufstaut und der Stress nach der Rückkehr um so grösser ist. Was heute im Einzelfall vielleicht tatsächlich so ist, stimmt nicht mehr, wenn alle Arbeitnehmenden mehr Ferien haben. Denn wenn alle mehr Ferien haben, dreht das Hamsterrad für alle weniger schnell.
„Als ich am Montag nach den Ferien wieder ins Büro kam, türmten sich Berge von Papier, die Mailbox überquoll und der Chef hatte x schriftliche Aufträge formuliert.“ So oder ähnlich tönt es hie und da zum Abschluss einer Ferienberichterstattung von Arbeitnehmenden. Jetzt wird auch versucht, dieses Argument gegen die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ ins Feld zu führen. Mehr Stress wegen mehr Ferien? Die Frage muss mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Antwort auf veränderte Arbeitswelt notwendig
Die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ baut auf der Erkenntnis auf, dass die Belastung am Arbeitsplatz in den letzten 20 Jahren massiv gestiegen ist. Mit dem Strukturwandel und den technologischen Entwicklungsschüben haben vor allem die psychologischen Belastungen zugenommen. Verdichtete Arbeitsprozesse und erhöhte Arbeitsrhythmen verlangen nach Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Mit laufenden Umstrukturierungen, Aufgabenparallelität, Termindruck und vielen Störungen am Arbeitsplatz ist die Hektik gestiegen.
Mehr Ferien für gesündere Arbeitnehmende
Die hohe Belastung am Arbeitsplatz führt zu Beschwerden und ernsten Gesundheitsproblemen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen, Schlaflosigkeit oder Herz- und Kreislaufstörungen. Die volkswirtschaftlichen Kosten der zu hohen Arbeitsbelastung werden auf zehn Mrd. Franken pro Jahr geschätzt1.
Seit längerem ist bekannt, dass erst längere Arbeitsunterbrüche von zwei bis drei Wochen eine vollständige Regeneration ermöglichen und dazu beitragen, Gesundheitsprobleme zu vermeiden. Bei nur 4 Wochen Ferien ist es nicht möglich, die Dauerbelastung am Arbeitsplatz in ausreichendem Mass zu unterbrechen. Damit Arbeitnehmende sich wirklich erholen können, brauchen sie mehr Ferien.
Das Hamsterrad dreht weniger schnell
Aber würden mehr Ferien nicht dazu führen, dass der Einzelne noch viel mehr zu tun hat, weil die Arbeit nach der Rückkehr erledigt werden muss?
Im Einzelfall mag es stimmen, dass nach längeren Ferien mehr Pendenzen zu erledigen sind. Wer sich z.B. anstatt einer Woche mal 3 oder 4 Wochen Ferien am Stück leistet, muss das heute manchmal nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz mit mehr Arbeit büssen. Diese Betrachtung ist aber nicht mehr gültig, wenn alle mehr Ferien haben. Dann ist eben gerade auch die Kundin, die gewöhnlich zum dritten Mal einen Extrawunsch äussert, in den Ferien. Der Chef oder die Chefin, die immer wieder mal spontan Zusatzaufträge erteilt, ist auch mal weg. Auch der Mitarbeiter, der viel Betreuung braucht, fehlt zwischendurch.
Mit mehr Ferien für alle gelingt es eben gerade, die eingangs beschriebenen verdichteten Arbeitsprozesse und erhöhten Arbeitsrhythmen kurzzeitig zu brechen. Es gibt etwas mehr Luft für alle. Erinnern wir uns an die Sommerzeit während der Schulferien. Im Juli und August dreht sich vielerorts – auch wenn man als Arbeitnehmer selbst nicht in den Ferien ist – alles etwas langsamer. Es ist wie im Hamsterrad. Je schneller alle rennen, desto schneller dreht das Rad und umso schneller muss man selber wieder rennen. Zeit also, dass einige temporär aus dem Hamsterrad aussteigen und die Drehzahl verringert wird. So bleibt Zeit, Dinge aufzuarbeiten und nicht nur Dringendes, sondern auch Wichtiges zu erledigen. Und es zeigt sich plötzlich wieder, dass vieles auf der Pendenzenliste nicht prioritär erledigt werden muss.
Übermüdung erzeugt Ineffizienz und damit erst recht Arbeitsberge
Oft ist es auch so, dass die Berge sich gerade türmen, weil man übermüdet ist und darum ineffizient arbeitet. Ist Erholung dann nicht absehbar, dann kippt die Überbelastung in ernsthafte Gesundheitsprobleme und in Krankheitsabwesenheiten. Die vielen Krankheitsausfälle kosten nicht nur viel, sondern sie erzeugen für diejenigen, die die Arbeit übernehmen müssen, zusätzlichen Stress. Im Gegensatz zu einer Ferienabwesenheit kommt ein Krankheitsausfall ungeplant und kann nicht vorbereitet werden. Wenn also alle etwas mehr Ferienauszeiten zu gute haben, kann der durch Krankheitsausfälle verursachte Stress verringert werden.
Wer öfters mal weg ist, muss sich organisieren
Zudem tut es auch gut zu sehen, dass durch Ferienabwesenheiten die Aufgaben priorisiert oder delegiert werden müssen. Gerade weil man durch Ferienabwesenheiten gezwungen ist, sich abzusprechen und zu organisieren, machen viele Arbeitnehmende die Erfahrung, dass auch sie ersetzbar sind. Das ist entlastend für den Einzelnen, erhöht aber auch die Qualität der Arbeit, die dank Absprachen auf mehr Schultern verteilt ist.
1SECO; 2009: Arbeit und Gesundheit, Zusammenfassung der Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2007.