Bei Anspannung und Überlastung am Arbeitsplatz spielt die Familie eine zentrale Rolle. Als erste Regenerationsquelle, die den Erwerbstätigen zur Verfügung steht, ist die Familie allerdings dem von der Arbeit mitgebrachten Stress ausgeliefert. Wird das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familienleben gestört, leiden alle Familienmitglieder darunter. Zusätzliche Ferien sind eine angemessene, notwendige und konkrete Massnahme für das Wohl der erwerbstätigen Bevölkerung und ihrer Familien.
Die Fachleute für Gesundheit am Arbeitsplatz befassen sich seit mehreren Jahren mit den Auswirkungen eines unausgewogenen Verhältnisses zwischen Berufs- und Privatleben auf die Leistungsfähigkeit. Die Feststellung von Professor Norbert K. Semmer von der Universität Bern ist einfach: Wenn Sorgen von der Arbeit nach Hause gebracht werden, sind die Auswirkungen gering, solange die Voraussetzungen zur Wahrung des Gleichgewichts gegeben sind. Werden dagegen Familiensorgen an den Arbeitsplatz mitgenommen, sind die Auswirkungen deutlich stärker. Im einen wie im anderen Fall führt der Konflikt zwischen Arbeit und Familie zu psychosomatischen Beschwerden, die sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken.
Stress in der Familie – vom Arbeitsstress ausgelöster verhängnisvoller Prozess
Wenn die Arbeit mit dem Familienleben interferiert, kommt es zu einem Ungleichgewicht. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Arbeit Zeit für die Familie wegnimmt, wenn man zu müde ist, um sich noch um Familienangelegenheiten zu kümmern, oder wenn man in der Freizeit in Gedanken immer noch bei der Arbeit ist. Die Folgen für die Gesundheit zeigen sich u.a. in Form von Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Verspannung. Die Voraussetzungen für die Wahrung eines gewissen Gleichgewichts sind nicht mehr gegeben, was einen für die gesamte Familie verhängnisvollen Prozess auslöst.
Letztlich müssen die Familie und all ihre Mitglieder die Arbeitsüberlastung eines oder beider Elternteile ausbaden. Das beginnt damit, dass die Bedürfnisse der Familie nicht erfüllt werden, zum Beispiel wegen Zeitplänen, die diese Bedürfnisse nicht berücksichtigen. Sehr rasch kommt ein Gefühl von Enttäuschung oder Verbitterung auf. Die müden und erschöpften Erwerbstätigen verfügen dann nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen, um angemessen auf alltägliche Familienprobleme zu reagieren. Sie zeigen stattdessen typische Stressreaktionen. Schliesslich überträgt sich der Stress auf die restliche Familie, die ebenfalls stresstypische Verhaltensweisen entwickelt.
Von der Arbeit in die Familie gebrachter Stress schlägt auf die Arbeit zurück
Wird am Arbeitsplatz entstandener Stress ins Privatleben mitgenommen, entsteht zusätzlicher Stress. Dieser Mechanismus ist die Ursache von chronischen Stresssymptomen, die ihrerseits zu gesundheitlichen Problemen und Präsentismus (Präsenz am Arbeitsplatz trotz Erkrankung) führen und den Wunsch nach einem Stellenwechsel verstärken. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft bezeichnet sich etwa ein Drittel der beschäftigten Erwerbsbevölkerung in der Schweiz als häufig oder sehr häufig gestresst am Arbeitsplatz. Das ist eine deutliche Zunahme im Vergleich zur selben Studie aus dem Jahr 2000.
Es wird heute immer schwieriger oder sogar unmöglich, sich von Arbeitsüberlastung zu erholen. Die Anspannung und der Adrenalinspiegel bleiben hoch, auch am Abend und am Wochenende, und die Belastung verringert sich nicht, was eine Erholung verhindert. Das wirkt sich auf die Leistung am Arbeitsplatz aus. Eine 2002 in Krankenhäusern durchgeführte Studie zeigt, dass ein Patient mehr pro Krankenschwester das Burnout-Risiko um 23 Prozent erhöht und überdies die Sterblichkeit der Patienten um 7 Prozent ansteigen lässt.
Mehr Ferien zur Unterstützung der Familien
Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben erweist sich als bedeutender Entlastungsfaktor, «der mit einem geringeren Stressempfinden, einem geringeren Gefühl, in der Arbeit emotional verbraucht zu sein, sowie mit weniger Gesundheitsproblemen einhergeht.», schreibt das seco. Leider sind die Fortschritte auf diesem Gebiet noch mässig, insbesondere für die Frauen.
Pausen machen, zwischendurch einen Gang herunterschalten, das ist es, was die Erwerbstätigen von heute brauchen. Mit 6 Wochen Ferien kann man sich erholen, die Belastung abbauen, besser mit dem Stress leben. Mit mehr Ferien lässt sich vermeiden, dass der Stress ständig von der Arbeit in die Familie getragen wird und diese unnötig leiden lässt. Die Annahme der Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ wäre ein konkreter Schritt für die Familien, der deutlich effizienter als alle Familienfeste und halbherzigen Erklärungen ist.