Die Stimmbevölkerung hat am 11. März die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ abgelehnt. Travail.Suisse ist von diesem Ergebnis zwar enttäuscht, aber keineswegs entmutigt. Die kostspielige Angstmacherkampagne der Gegner hat in der unsicheren wirtschaftlichen Situation offenbar gewirkt. Dank der Initiative wurden aber erstmals die Arbeitsbelastung und deren negative gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen breit diskutiert und anerkannt. Mit dem Nein sind diese Probleme nicht vom Tisch. Bundesrat und Arbeitgeber bleiben gefordert.
Travail.Suisse, der politisch unabhängige Dachverband von 170’000 Arbeitnehmenden, und die angeschlossenen Verbände haben in den letzten fünf Jahren viel für die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ gearbeitet. Überall in der Schweiz wurde von der Unterschriftensammlung bis zur Abstimmungskampagne viel Herzblut investiert.
Enttäuschung ja, aber keine Frustration
Nach so viel Engagement ist eine Ablehnung an der Urne selbstverständlich eine Enttäuschung. Gleichzeitig haben wir von Anfang an gewusst, dass es Initiativen immer schwer haben. Die massiven wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen seit der Lancierung 2007 haben diese Schwierigkeiten noch vergrössert. So haben denn die Umfragen das Ergebnis bereits zwei Wochen vor der Abstimmung ziemlich genau vorausgesagt. Dieses Ergebnis liegt ungefähr im gleichen Rahmen wie bei früheren Initiativen zu Arbeitszeit oder Ferien. Sowohl die 40-Stunden-Woche als auch die fünf Wochen Ferien wurden bereits vor Jahren mit ähnlichen Ergebnissen abgelehnt, die 36-Stunden-Woche kam mit 78 Prozent Nein sogar deutlich stärker unter die Räder.
Um weitere Schlüsse aus dem Ergebnis zu ziehen wird es zudem wichtig sein, das Abstimmungsergebnis genauer zu analysieren und zu sehen, wer die Initiative angenommen und wer sie abgelehnt hat.
Gegner haben geklotzt für eine Angstmacherkampagne mit Wirkung
Klar ist bereits heute, dass uns economiesuisse, der Arbeitgeber- und der Gewerbeverband sowie die vereinten bürgerlichen Parteien sehr ernst genommen haben (was uns selbstverständlich ehrt). Während zehn Wochen und bis zum letzten Tag vor der Abstimmung haben sie mit einer Millionenkampagne die Schweiz mit unsinnigen Sprüchen an Plakatwänden vollgepflastert und die Medien mit unsäglichen Sprüchen von mehr oder weniger prominenten Unternehmerinnen und Unternehmern gefüllt. Sogar ein professionelles Abstimmungsfilmli haben sie machen lassen, um auch im Internet präsent zu sein.
All das mit einem einzigen Ziel: Den Leuten einzureden, dass mehr Ferien zu einem Arbeitsplatzabbau führen könnten. Dabei war – und ist – diese Drohung schlicht falsch. Denn gesunde und erholte Menschen sind der zentrale Erfolgsfaktor der Schweizer Wirtschaft, mehr Erholung als Ausgleich zum Druck am Arbeitsplatz ist eine ökonomische Notwendigkeit. Wegen der grossen Unsicherheit aufgrund der Eurokrise und der konjunkturellen Aussichten hat diese Angstmacherkampagne aber Wirkung entfaltet. Anstelle des langfristigen Wohls der Menschen und der Schweizer Wirtschaft stand bei vielen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern verständlicherweise die aktuelle Sorge um den eigenen Arbeitsplatz im Vordergrund.
Das Nein ist keine Lösung: Hohe Arbeitsbelastung und Ungerechtigkeiten bleiben
Klar ist ebenfalls bereits heute, dass die von der Initiative angesprochenen Probleme mit diesem Nein vom 11. März nicht gelöst wurden. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten zwanzig Jahren massiv verändert. Die Hektik ist immer grösser geworden, alles geht schneller. Und so müssen auch die Arbeitnehmenden immer schneller arbeiten. Auf die Dauer ist das ungesund. Es werden denn auch immer mehr Menschen krank wegen der Arbeitsbedingungen. Jede zweite Person in der Schweiz hat Rückenbeschwerden, immer mehr kommen mit dem Druck nicht zurecht und müssen aus psychischen Gründen für kürzere oder längere Zeit aussetzen. Das kommt uns teuer zu stehen. Auf 10 Milliarden Franken pro Jahr schätzt das Staatssekretariat für Wirtschaft die jährlichen Kosten der ungesunden Belastung am Arbeitsplatz.
Ebenfalls bestehen bleiben die Ungerechtigkeiten bei den Ferienregelungen: Bereits heute haben viele Kader sechs oder mehr Wochen Ferien. „Normale Arbeitnehmende“ wie z.B. die Lastwagenchauffeure, Polizisten oder weite Teile des Pflegepersonals, welche unter Dauerbelastung stehen und einen besseren Ausgleich dringend nötig hätten, müssen sich nach wie vor mit dem gesetzlichen Minimum von vier Wochen Ferien begnügen.
Demografie macht Handeln nötig
Dazu kommt, dass jeder dritte Arbeitnehmende vor der Pensionierung wegen gesundheitlichen Gründen aus der Arbeitswelt ausscheidet. Das ist erschreckend. Einerseits stehen hinter diesen Zahlen zehntausende von individuellen, menschlichen Tragödien. Denn eine IV-Rente oder eine vorzeitige Pensionierung ist nicht das Ziel der betroffenen Arbeitnehmenden. Sehr viel häufiger ist es einfach die einzige Möglichkeit, einen mindestens finanziell tragbaren Ausstieg aus dem Arbeitsleben zu finden. Andererseits ist dieser „Verschleiss“ an Arbeitskräften auch ein gesellschaftlicher Unsinn. Allein die demografische Entwicklung führt bis ins Jahr 2030 zu einem Arbeitskräftemangel von ca. 400’000 Arbeitskräften. In den nächsten Jahrzehnten wächst ausserdem nur noch die Gruppe der über 55-jährigen Arbeitnehmenden, die am stärksten von den gesundheitlichen Problemen der andauernden Arbeitsüberlastung betroffen ist. Damit diese kommende Generation von älteren Arbeitnehmenden nicht vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt heraus fällt und den Arbeitskräftemangel noch verschärft, brauchen wir innert Kürze eine Verbesserung und Anpassung der Arbeitsbedingungen für alle Erwerbstätigen.
Bundesrat und Arbeitgeber bleiben gefordert
Die Initiative hat breite Kreise in Politik und Wirtschaft gezwungen, den volkswirtschaftlichen Unsinn und die hohen menschlichen und gesellschaftlichen Kosten der zu hohen Arbeitsbelastung zur Kenntnis zu nehmen und zu anerkennen. Weder die hohe Belastung selbst noch die Notwendigkeit von Massnahmen gegen die negativen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen sind denn auch von Bundesrat oder Arbeitgeberverband in Abrede gestellt worden.
Die Stärke der Schweizer Wirtschaft sind gesunde und motivierte Arbeitnehmende. Die heutige Arbeitswelt gefährdet die Gesundheit der Menschen und trägt wenig zu deren langfristigen Motivation bei. Die Demografie verschärft diese Entwicklung. Damit ist auch das Erfolgsmodell Schweiz in Gefahr. Gerade ein Hochlohnland wie die Schweiz muss zu den Arbeitnehmenden besonders Sorge tragen.
Diese Aufgabe ist mit dem Nein zur Travail.Suisse-Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ nicht vom Tisch. Bundesrat, Parlament und Arbeitgeber bleiben gefordert, jetzt für Lösungen Hand zu bieten. Die Arbeitgeber haben im Abstimmungskampf immer wieder darauf beharrt, dass sie die Ferienansprüche mit sozialpartnerschaftlichen Lösungen verbessern wollen. Jetzt braucht es also Sozialpartnerschaft für alle Arbeitnehmenden mit Ferienregelungen über dem gesetzlichen Minimum. Und der Bundesrat hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Ferienanspruch allein nicht alle Probleme löst. Er ist jetzt gefordert, konkrete Vorschläge auszuarbeiten, wie gegen die negativen Folgen der zu hohen Belastung am Arbeitsplatz vorgegangen werden soll.