Der Bundesrat hat Anfang März seinen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) vorgelegt. Mit einer Schutzklausel soll bei Bedarf die Zuwanderung beschränkt werden. Damit nimmt der Bundesrat einen Konflikt mit der EU in Kauf und riskiert den Wegfall der bilateralen Verträge. Gleichzeitig werden die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nur sehr zaghaft angegangen: Die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen werden nur marginal verstärkt und die Massnahmen zur Förderung des inländischen Potenzials bleiben nach wie vor sehr vage. Für die Arbeitnehmenden ist dies eine gefährliche Mischung.
Vor gut zwei Jahren hat eine kleine Mehrheit der Stimmbevölkerung der Masseneinwanderungsinitiative zugestimmt. Seither hängt deren Umsetzung wie ein Damoklesschwert über der zukünftigen Beziehung zur Europäischen Union und der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz. Am 4. März hat der Bundesrat seine Vorschläge zur Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung präsentiert. Die Umsetzung im engeren Sinn soll über eine Schutzklausel geschehen, die notfalls auch eigenständig – also ohne Einigung mit der EU – eingeführt werden soll. Begleitend sollen die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt angepasst und weitere Massnahmen zur Nutzung des inländischen Potenzials umgesetzt werden.
Unilaterale Schutzklausel ist nicht zielführend
Das Abstimmungsergebnis vom 9. Februar 2014 hat grosse Unsicherheiten über die künftige Beziehung zur EU – dem mit Abstand wichtigsten Wirtschafts- und Handelspartner der Schweiz – entstehen lassen. Diese Rechts- und Planungsunsicherheit für Unternehmen ist bereits deutlich spürbar. Die schleppende Wirtschaftsentwicklung und die steigende Arbeitslosigkeit – befeuert durch die Problematik des überbewerteten Frankens – zeugen davon. Mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen einseitigen Schutzklausel soll diese Unsicherheit zu einem Dauerzustand werden, denn eine Schutzklausel steht im Widerspruch zum Personenfreizügigkeitsabkommen. Sollte sie einmal angewendet werden, wäre dies ein Vertragsbruch mit nicht absehbaren Folgen. Für Travail.Suisse ist ein latenter Bruch eines internationalen Abkommens des schweizerischen Rechtsstaates unwürdig, eine unilaterale Schutzklausel daher kein zielführender Weg.
Auch der Bundesrat hofft weiter auf eine Verhandlungslösung mit der EU und eine Anpassung des bestehenden Abkommens. Ob eine solche Einigung zustande kommt und wie sie allenfalls aussehen könnte, steht allerdings noch in den Sternen. Und der Bundesrat sendet sehr widersprüchliche Signale. Manchmal meldet sich die Justizministerin in sachlich, kühlem Tonfall. Ein anderes Mal kehrt der Bundespräsident sichtlich desillusioniert von einem Besuch in Brüssel zurück und der Aussenminister verkündet Tage später optimistisch-euphorisch, dass ein Verhandlungsergebnis nahe sei. Einig ist man sich, dass das Referendum in Grossbritannien über den Austritt aus der Union aus Schweizer Perspektive ungünstig ist. Bis zum 23. Juni dieses Jahres dürften die Verhandlungen daher blockiert sein und danach dürfte der Zeitrahmen sehr eng werden, will man sich nicht über die in der Verfassung verankerte Umsetzungsfrist bis zum 9. Februar 2017 hinwegsetzen.
Denkbar ist, dass in der zweiten Hälfte des Jahres ein Verhandlungsergebnis mit der EU, das im Einklang mit den bilateralen Verträgen steht, tatsächlich erreicht wird. Dieses dürfte dann allerdings von der im Raum stehenden Schutzklausel abweichen und kaum einer strikten Auslegung von Artikel 121a entsprechen. In diesem Fall wäre ein Referendum von Seiten der SVP wahrscheinlich. Im fälligen Abstimmungskampf wäre dann die Situation auf dem Arbeitsmarkt entscheidend, damit sich eine Mehrheit der Bevölkerung für den Erhalt des bilateralen Weges mit der EU entscheidet.
Blockade beim Ausbau der FlaM und zaghafte Förderung des Inlandpotenzials
Aus Sicht der Arbeitnehmenden ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt entscheidend. Nur wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen gesichert und geschützt sind und Verdrängungseffekte bekämpft werden, kann die Personenfreizügigkeit als etwas Positives wahrgenommen werden. Die flankierenden Massnahmen haben hier eine entscheidende Bedeutung. Nur mit den FlaM kann der Grundsatz, wonach in der Schweiz Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen gelten durchgesetzt werden. Die FlaM funktionieren gut und dennoch sind Lohnunterbietungen und Verstösse gegen die Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung. Für Travail.Suisse ist es daher eine politische Notwendigkeit, konstant an der Optimierung und Weiterentwicklung der flankierenden Massnahmen zu arbeiten, um die Zustimmung der Arbeitnehmenden zur Personenfreizügigkeit zu erhalten.
In der vom Bundesrat eingesetzten Arbeitsgruppe, zeigten die Arbeitgeber aber eine Blockadehaltung und haben jedwelche Anpassung der FlaM abgelehnt. Von dieser ideologischen Position liess sich auch der Bundesrat beeindrucken und in die Botschaft zur Umsetzung von Artikel 121a BV wurde lediglich zwei kleine Anpassungen der FlaM integriert. Einerseits soll die Möglichkeit zur Verlängerung der Normalarbeitsverträge (NAV) geschaffen werden. Eine solche Verlängerung wird in den wenigen Kantonen, die überhaupt NAV erlassen haben bereits so gehandhabt. Es ist also lediglich ein juristischer Nachvollzug bereits gelebter Realität. Andererseits soll geprüft werden, ob ausländischen Entsendebetrieben die Pflicht einer Schweizer Zustelladresse auferlegt werden soll, um zu garantieren, dass Entscheide aus der Anwendung des Entsendegesetzes auch eröffnet und durchgesetzt werden können. Diese Massnahme basiert auf einem angenommenen Postulat von Ständerat Luc Recordon (14.3106). Von wirklichen Verbesserungen der FlaM im Bereich der Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von GAV, der Einführung eines Berufsregisters, in dem die Unternehmen die Einhaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen nachweisen und belegen müssen oder wirksamen Massnahmen gegen die Probleme mit den Subunternehmerketten hat der Bundesrat Abstand genommen und damit einmal mehr die Augen vor den Problemen auf dem Arbeitsmarkt verschlossen.
Auch im Bereich der Förderung des Inlandpotenzials ist der Bundesrat sehr zaghaft unterwegs. Die vom WBF bereits 2011 lancierte Fachkräfteinitiative hat bis jetzt kaum konkrete Ergebnisse geliefert. Anstelle von konkreten neuen Massnahmen zum Nutzen der inländischen Erwerbsbevölkerung entspricht diese Initiative mehr einem Zusammenzug von bereits laufenden oder geplanten Projekten der verschiedenen Verwaltungsebenen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Für Travail.Suisse ist es daher eine politische Notwendigkeit, die Situation der Arbeitnehmenden intensiver und effektiver zu verbessern. Nur wenn die Freizügigkeitsrendite gerechter verteilt wird und die Chancen der Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt intakt bleiben, kann die Zustimmung zur Personenfreizügigkeit erhalten werden. In den letzten Jahren hat sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur schleppend verbessert, die Arbeitsmarktfähigkeit und -mobilität der älteren Arbeitnehmenden gar abgenommen. Die Förderung der Nachholbildung für Personen ohne formalen Bildungsabschluss und die Unterstützung des Wiedereinstiegs nach der Familienpause werden nach wie vor stiefmütterlich behandelt und die zunehmenden Herausforderungen im Bereich Arbeit und Angehörigenpflege sowie die problematische Zunahme der Jugendlichen in der Sozialhilfe sind noch kaum auf dem politischen Radar angekommen.
Es braucht eine verlässliche Politik
Für Travail.Suisse ist klar, dass die Umsetzung von Artikel 121a BV eine verlässliche Politik braucht. Dies bedeutet, dass eine Umsetzung nur über eine Verhandlungslösung mit der EU angestrebt werden darf. Die vorgelegte Variante einer einseitigen Schutzklausel ist brandgefährlich und nicht zielführend. Ausserdem müssen die Probleme auf dem Arbeitsmarkt ernst genommen und die Massnahmen zur Förderung des Inlandspotenzials konkretisiert und intensiviert werden. Entscheidend wird ausserdem sein, dass die Wirtschaft davon abrückt, ihren Arbeitskräftebedarf vorschnell im Ausland zu decken und wieder vermehrt die inländischen Arbeitnehmenden berücksichtigt. Dazu muss die Politik sicherstellen, dass in der Schweiz Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen gelten. Nur dann haben die Arbeitgeber keinen finanziellen Anreiz, um auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen. Immer mehr Jugendliche fallen bereits nach der Ausbildung durch die Maschen des Arbeitsmarktes und ältere Arbeitnehmende haben grösste Mühe bei Stellenverlust wieder einen neuen Job zu finden. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss weiter verbessert werden, um zu ermöglichen, dass Frauen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Nur so nutzen die bilateralen Verträge und die Personenfreizügigkeit auch den Arbeitnehmenden und der gesamten Bevölkerung.