Obwohl sich die Schweizer Wirtschaft weitgehend vom Schock des überbewerteten Frankens erholt hat und ein solides BIP-Wachstum von 1.5 Prozent für 2016 und gar 1.8 Prozent für das nächste Jahr prognostiziert wird, zeigt die Lohnrunde 2017 ein durchzogenes Bild. Neben einigen Nullrunden, insbesondere in der Industrie und dem Gewerbe kommen die Arbeitnehmenden in der Schweiz mehrheitlich in den Genuss von Lohnerhöhungen zwischen 0.5 und 1 Prozent. Travail.Suisse, die unabhängige Dachorganisation der Arbeitnehmenden, beurteilt die Lohnrunde 2017 als knapp zufriedenstellend, ist allerdings besorgt über die immer weiter verbreitete individuelle Gewährung der Lohnerhöhungen.
Der Dachverband Travail.Suisse und die ihm angeschlossenen Verbände Syna, transfair und Hotel&Gastro Union haben im August 2016 die Lohnrunde 2017 eingeläutet. Die damals noch grosse Unsicherheit über die noch immer hängige Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung sowie die Gefahr von grösseren Turbulenzen aufgrund des Brexit-Entscheides der britischen Stimmbevölkerung vom Juni prägte die wirtschaftliche Situation der Schweiz. Im zweiten Halbjahr 2016 stabilisierte sich die Wirtschaftsentwicklung in der Schweiz aber weiter und der konjunkturelle Aufwärtstrend bestätigte sich. Mit einem prognostizierten BIP-Wachstum von 1.5 Prozent für dieses Jahr 1 und 1.8 Prozent für das nächste Jahr zeigt sich die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft sehr solid. Auch wenn für 2016 noch einmal eine negative Teuerung von -0.4 Prozent prognostiziert wird, zeichnet sich für 2017 eine Rückkehr in den positiven Teuerungsbereich ab.
Durchzogene Resultate der Lohnrunde
Für einen Grossteil der Arbeitnehmenden werden die Löhne im nächsten Jahr zwischen 0.5 Prozent und 1 Prozent wachsen. Dieses Ergebnis ist mit Blick auf die nach wie vor negative Teuerungsentwicklung als akzeptabel zu beurteilen. Eingetrübt wird das Bild aber insbesondere durch drei Aspekte. Erstens sind auch in diesem Lohnherbst wieder einige Nullrunden verhängt worden. Betroffen sind insbesondere Arbeitnehmende in der Industrie oder im Gewerbe aber auch das Bundespersonal. Besonders problematisch, wenn es für die Arbeitnehmenden bereits das zweite Jahr (Metallbau, Bundespersonal) oder gar das dritte Jahr (Carrosseriegewerbe, Möbelindustrie) in Folge ohne Lohnentwicklung ist. Zweitens wird auch dieses Jahr die Mehrheit der Lohnerhöhungen individuell verteilt. Damit werden die Lohnerhöhungen nicht nur intransparent und bis zu einem gewissen Grad willkürlich verteilt sondern es profitieren längst nicht alle Mitarbeiter vom positiven Geschäftsergebnis. Dass aber auch in Zeiten von negativer Teuerung generelle Lohnerhöhungen möglich sind beweisen die Beispiele der Branche Gebäudehüllengewerbe und der Unternehmen Steeltec, Spital Thurgau, Chemins de Fer du Jura und cablex, welche alle zwischen 0.4 und 0.7 Prozent generelle Lohnerhöhungen für 2017 vorgesehen haben. Spätestens mit der Rückkehr in den positiven Teuerungsbereich im nächsten Jahr werden flächendeckende generelle Lohnerhöhungen zum Erhalt der Kaufkraft der Arbeitnehmenden wieder entscheidend an Wichtigkeit gewinnen. Und Drittens ist diese Lohnrunde die dritte in Folge mit nur bescheidenen Entwicklungen bei den Löhnen. So wird bei den Arbeitnehmenden ein gewisser Nachholbedarf spürbar. Nicht zuletzt deshalb wurde im diesjährigen «Barometer Gute Arbeit» 2 eine signifikant abnehmende Einkommenszufriedenheit bei den Arbeitnehmenden festgestellt. So sind rund 44 Prozent der Arbeitnehmenden mit ihrem Lohn nicht oder nur in geringem Mass zufrieden. Travail.Suisse unterstützt deshalb auch die vom europäischen Gewerkschaftsbund lancierte Kampagne für 2017 zur Erhöhung der Löhne europaweit (vgl. Box am Ende des Textes).
Arbeitnehmende im Service Public unter Druck
Im Service Public ist die Situation für die Arbeitnehmenden zurzeit besonders angespannt. Nicht nur, dass beim Bundespersonal ein Sparauftrag aus dem Parlament den nächsten jagt und bei den Löhnen eine Nullrunde verhängt wurde. In den letzten Monaten haben ausserdem sowohl die Post als auch die SBB mit der Ankündigung von Stellenabbau düstere Zukunftsperspektiven für die Arbeitnehmenden heraufbeschworen. Während bei der Post aufgrund des massiven Abbaus im Poststellennetz aber auch durch Reorganisationen in anderen Bereichen eine beträchtliche Anzahl Arbeitsplätze verloren gehen werden, hat die SBB mit dem Spar- und Abbauprogramm RailFit 20/30 den Abbau von 1400 Stellen bis 2020 bekannt gegeben. Doch mit der Unternehmenssteuerreform III steht der grösste Sparhammer für die Arbeitnehmenden des Service Public noch bevor. Mit den Steuerverlusten von 1.5 Mrd. Franken beim Bund und mehreren Mrd. Franken bei Kantonen und Gemeinden wären die nächsten Sparprogramme inklusive Stellenabbau absehbar. Travail.Suisse ^3 spricht sich daher klar gegen die Unternehmenssteuerreform III aus und unterstützt das Referendum.
Zuwenig Bewegung bei Frauenlöhnen und Vaterschaftsurlaub
Aufgrund der bescheidenen Lohnerhöhungen hätte die Möglichkeit bestanden im Bereich der Frauenlöhne oder den Regelungen zum Vaterschaftsurlaub ein Zeichen zu setzen; leider wurden diese Möglichkeiten durch die Arbeitgeber verpasst. Auch in diesem Jahr waren die Arbeitgeber nicht bereit bei der Gleichstellung der Frauenlöhne einen besonderen Effort zu leisten. Für Travail.Suisse ist klar, dass die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern auf freiwilligem Weg nicht erreicht werden kann und unterstützt eine politische Lösungsfindung. Dabei ist es höchste Zeit, dass der Bundesrat endlich die angekündigte Botschaft präsentiert, mit welcher die Unternehmen zu einer Kontrolle der Lohngleichheit aufgefordert werden. Es ist aber absehbar, dass noch griffige Massnahmen im Bereich der Kontrollen und Sanktionen ergänzt werden müssen, um das Ziel der Lohngleichheit wirklich zu erreichen. Auch bei der Thematik Vaterschaftsurlaub konnten kaum Fortschritte erzielt werden. Mit Ausnahme des neuen L-GAV des Gastgewerbes (neu 5 statt 3 Tage), der Nitrochemie AG (neu 5 statt 2 Tage) und den beiden Konzerngesellschaften der Post, Swiss Post Solutions und IMS AG (Immobilienmanagement), welche ihre Regelungen dem GAV der Post anpassen und neu 10 Tage Vaterschaftsurlaub kennen konnten keine Verbesserungen erzielt werden. Es verbleiben zuviele Arbeitnehmenden beim gesetzlichen Minimum von einem Tag Vaterschaftsurlaub – gleichviel wie für einen Wohnungswechsel. Die von Travail.Suisse lancierte Initiative (www.vaterschaftsurlaub.ch) bleibt somit der realistischste Weg zu einem vernünftigen Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen für alle Arbeitnehmenden.
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Europa braucht eine Lohnerhöhung
_Der Europäische Gewerkschaftsbund EGB lanciert 2017 eine Kampagne für höhere Löhne. Damit soll die Austeritätspolitik innerhalb der EU bemängelt werden. Lohnerhöhungen sind gerechtfertigt, fair und überfällig, um im europäischen Wirtschaftsraum einen nachhaltigen Aufschwung zu ermöglichen. Travail.Suisse, die unabhängige Dachorganisation der Arbeitnehmenden, unterstützt diese Kampagne, weil auch Fragen bearbeitet werden, die aus schweizerischer Perspektive grosse Relevanz geniessen wie beispielsweise:
• Lohngefälle zwischen Sektoren innerhalb eines Landes (Vergleich zwischen Fertigungs- und Dienstleistungssektoren);
• Lohngefälle zwischen den Geschlechtern;
• Löhne für junge Arbeitnehmende;
• Verhältnis zwischen höchstem und niedrigstem Gehalt in einem Unternehmen._
_Weitere Informationen unter www.etuc.ch
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