In der neuesten Ausgabe von Avenirsuisse Aktuell argumentiert Gerhard Schwarz gegen die „Dreiteilung“ des Lebens (Ausbildung, Erwerbsarbeit, Pension) und plädiert folgerichtig für mehr Freizeit und Ausbildung in den mittleren Lebensjahren. Werden seine Schlussfolgerungen konkretisiert, ergibt sich eine hohe Übereinstimmung mit den Forderungen von Travail.Suisse für „Mehr gute Arbeit“ (Kongress 2011).
Unter dem Titel „Fragwürdige Dreiteilung des Lebens“ macht sich der Direktor von Avenir Suisse Gedanken zur Verteilung von Arbeit, Ausbildung und Freizeit auf das gesamte (Erwerbs)Leben und kommt dabei zu folgender Schlussfolgerung:
„Wäre nicht ein Lebensentwurf sinnvoller, der Ausbildung zur Daueraufgabe machte, der im ganzen, immer längeren Leben Arbeit, Ausbildung und Freizeit in unterschiedlichem Ausmass mischen würde? Ein Weg, der den Menschen schon in der Mitte des Lebens neben der Arbeit mehr Platz liesse für Familie und Freizeit und der ihnen umgekehrt erlaubte, auch mit 70 oder 76 (in Teilzeit) einer Arbeit nachzugehen? Natürlich passt ein solches Modell nicht auf alle Berufe und für alle Menschen, aber es dürfte einer grossen Mehrheit besser entsprechen als die Dreiteilung des Lebens.“
Das tönt alles vernünftig, bleibt aber sehr unverbindlich. Was es braucht, damit ein solcher Lebensentwurf für breite Kreise Wirklichkeit werden kann, lässt Gerhard Schwarz offen.
Travail.Suisse konkretisiert Avenir Suisse
Travail.Suisse hat sich die Mühe genommen, konkrete Vorschläge zur Überwindung der „Dreiteilung des Lebens“ zu erarbeiten und hat im Kongressdokument 2011 „Mehr gute Arbeit“ die entsprechenden Forderungen verabschiedet:
- Ausbildung als Daueraufgabe: Ausbildung als Daueraufgabe heisst nichts anderes als kontinuierliche Weiterbildung für alle Arbeitnehmenden. Heute ist aber Weiterbildung in der Schweiz sehr ungleich verteilt. Insbesondere tief qualifizierte Arbeitnehmende und ältere Arbeitnehmende werden vernachlässigt. Damit Ausbildung als Daueraufgabe für alle Arbeitnehmenden Realität wird, braucht es ein Weiterbildungsobligatorium. Nur ein Obligatorium stellt sicher, dass für alle Arbeitnehmenden Ausbildung zur Daueraufgabe wird.
- In der Mitte des Lebens neben der Arbeit mehr Platz für Familie und Freizeit: Mehr Platz heisst mehr Zeit. Mehr Zeit für die Familie würden ein Vaterschaftsurlaub und ein Elternurlaub schaffen. Nach der Kleinkinderphase sind Teilzeitstellen auf allen Hierarchieebenen nötig. Damit nicht nur die Familie, sondern auch die Freizeit nicht zu kurz kommt, brauchen die Arbeitnehmenden mehr Ferien, zum Beispiel eine Woche mehr Ferien, so wie das die Initiative „6 Wochen Ferien für alle“ von Travail.Suisse will.
- Mit 70 oder 76 (in Teilzeit) einer Arbeit nachgehen: Heute sind mit 63 Jahren noch gerade 50 Prozent der Arbeitnehmenden erwerbstätig. Der grösste Teil der anderen Hälfte ist entweder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitsfähig oder arbeitslos. Damit die Menschen auch mit 70 oder 76 noch arbeiten können und wollen, müssen sie fit und motiviert bleiben. Gesundheitsschutz und Erholung sind zentral für die langfristige Leistungsfähigkeit. Aber auch lebenslanges Lernen, horizontale Karrieren und altersgerechte Arbeitsmodelle, bei welchen es um viel mehr geht als nur um die Arbeitszeit, sind nötig, damit diese Vision auch nur den Hauch einer Chance hat, Wirklichkeit zu werden.
- Dieses Modell ist nicht für alle Berufe gleich möglich: Auch mit den besten Arbeitsbedingungen und mit mehr Erholung und Gesundheitsschutz wird es immer Berufe und Branchen geben, in welchen die Menschen bereits vor 65 nicht mehr in der Lage sind, mitzuhalten. Dies gilt insbesondere in Berufen und Branchen mit tiefen Löhnen. Deshalb braucht es ein flexibles Rentenalter für alle Arbeitnehmenden. Also eines, das sich auch die Arbeitnehmenden mit kleinem Einkommen leisten können.
Bis hierher lässt sich festhalten, dass zwischen den Schlussfolgerungen des Direktors von Avenir Suisse und den Forderungen von Travail.Suisse grosse Übereinstimmung besteht.
Unverständliche Engführung auf Rentenalter
Leider erfolgt dann im letzten Abschnitt des Artikels die in rechtsbürgerlichen und wirtschaftsnahen Kreisen übliche „Engführung“ des ganzen, eigentlich sehr breiten Themas der „Dreiteilung des Lebens“ auf das gesetzliche Rentenalter bzw. auf die Erhöhung desselben. Das ist nun wirklich Mumpitz und aufgrund der vorangehenden, intelligenten Gedanken und Schlussfolgerungen auch enttäuschend. Denn in Bezug auf das Rentenalter muss wieder einmal festgehalten werden:
Humanisierung der Arbeit im Zentrum
Das Hauptproblem der „Dreiteilung des Lebens“ ist nicht das Rentenalter, sondern die Zerstörung von Gesundheit und Motivation der Arbeitnehmenden durch die Arbeit selbst. Wenn jemals 80 Prozent der 63-Jährigen erwerbstätig wären, dann würde sich auch die Diskussion über das Rentenalter ganz von selbst verändern. Damit das aber möglich wird, muss zuerst das Arbeitsmodell Wirklichkeit werden, dass Gerhard Schwarz vorangehend skizziert. Anstelle des gesetzlichen Rentenalters müsste für Avenir Suisse also die Humanisierung der Arbeit ins Zentrum rücken, mit allen politischen Konsequenzen.
In diesem Fall wären vielleicht sogar interessante Koalitionen von Zukunft und Arbeit in der Schweiz denkbar. Alles andere hingegen ist das Pferd am Schwanz aufgezäumt und wird nie politische Mehrheiten finden.