In der kommenden Session wird das Parlament wiederum viele Geschäfte beraten, die für die Arbeitnehmenden von zentraler Bedeutung sind. Die Haltung von Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden, zu ausgewählten Geschäften ist im Folgenden kurz zusammengefasst.
Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik
Ständerat – Volksinitiative 1:12 – Für gerechte Löhne (12.017): Nachdem die Bonussteuer gar nicht zur Volksabstimmung gelangt ist, sind weder die Abzockerinitiative noch der indirekte Gegenvorschlag in der Lage, die sich immer massiver öffnende Lohnschere innerhalb von Unternehmen zu bremsen. Für Travail.Suisse ist es deshalb wichtig, dass der Ständerat die 1:12 Initiative annimmt oder, falls er dies nicht tut, einen wirkungsvollen Gegenvorschlag zur Beschränkung von Lohnexzessen erarbeitet.
Nationalrat – Motion Lombardi – Frankenstärke: Teilharmonisierung der Ladenöffnungszeiten (12.3637): Die Motion Lombardi verlangt unter dem Vorwand der Bekämpfung der Frankenstärke eine Zwangsausweitung der kantonalen Ladenöffnungszeiten von Montag bis Freitag zwischen 6 und 20 Uhr und Samstag zwischen 6 und 19 Uhr. Für Travail.Suisse ist klar: Die Probleme der Frankenstärke sind nicht mit einer Anpassung des Binnenmarktgesetzes zu lösen. Aus Sicht des Föderalismus führt die Motion zu einer inakzeptablen nationalen Zwangsharmonisierung, welche die Kantonshoheit bei den Ladenöffnungszeiten einschränkt. Die längeren Öffnungszeiten für den gesamten Detailhandel sind ein weiterer Schritt zur totalen Liberalisierung des Detailhandels. Sie gehen voll zulasten des Verkaufspersonals und des Fachhandels. Travail.Suisse fordert den Nationalrat auf, die Motion abzulehnen.
Nationalrat – Motion Abate – Stärkung des Schweizer Tourismus: Anpassung der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz an die Bedürfnisse des Fremdenverkehrs (12.3791 s): Die Motion Abate reiht sich ebenfalls ein in die Totalderegulierungsvorstösse des Detailhandels. Unter dem Deckmantel der Tourismusförderung soll das Konzept der Fremdenverkehrsgebiete mit den bisherigen Einschränkungen abgeschafft und ersetzt werden durch neu definierte funktionale Wirtschaftsräume. Damit wird die Sonntagsarbeit im Detailhandel auf Regionen, Städte und Orte ausgedehnt, in welchen bisher keine Sonntagsarbeit erlaubt war. Auch die Begrenzung der Sonntagsarbeit auf klar definierte Saisons soll abgeschafft werden. Die Folge davon wird flächendeckende ganzjährige Sonntagsarbeit im Detailhandel sein. Betroffen sind die 370’000 Arbeitnehmenden im Detailhandel mit bereits heute unterdurchschnittlichen Löhnen und Arbeitsbedingungen. Stossend an der Motion ist, dass sie den Bundesrat auf dem Verordnungsweg, also an der Stimmbevölkerung vorbei, befugt, diese Änderungen einzuführen. Travail.Suisse lehnt die Motion Abate vollumfänglich ab.
Sozialpolitik
Ständerat – 6. IV-Revision. Zweites Massnahmenpaket. Differenzbereinigung (11.030): Das ursprüngliche Ziel war eine Entschuldung der Invalidenversicherung bis 2030. Die neuesten Projektionen zeigen, dass die IV dieses Ziel mit oder ohne die Revision 6b erreichen wird. Je nach Ausgestaltung der Vorlage wird die IV mit 6b zwischen 2026 und 2029 schuldenfrei sein. Zur Entschuldung braucht es deshalb keine weiteren schmerzhaften Sparmassnahmen. Die Revision 6b sollte vielmehr genutzt werden, um gewisse Systemanpassungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist eine Aufteilung der Vorlage und damit ein Verzicht auf die Kürzung der Kinderrenten sinnvoll. Travail.Suisse fordert den Ständerat auf, hier dem Nationalrat zu folgen. Auch bei einem Splitting der Vorlage 6b ist auf weitreichende Leistungskürzungen zu verzichten, damit die Vorlage akzeptabel ausfällt.
Travail.Suisse befürwortet die Einführung eines stufenlosen, linearen Rentensystems. Das neue Rentensystem darf jedoch nicht zum Deckmantel für Rentenkürzungen werden. Mit dem Vorschlag des Bundesrates müssten Menschen mit einer starken Behinderung (IV-Grad ab 60 Prozent) drastische Rentenkürzungen von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Das hat mit einer verbesserten Eingliederung nichts zu tun. Schwerbehinderte Personen haben am meisten Schwierigkeiten, sich beruflich einzugliedern. In diesem Sinne empfiehlt Travail.Suisse dem Ständerat, die volle Rente ab einem IV-Grad von 70 Prozent beizubehalten und dem Nationalrat in diesem Punkt zu folgen.
Die Kürzung von laufenden Renten ist ein Tabubruch. Neben der Hiobsbotschaft für die Betroffenen würde eine Kürzung von laufenden Renten das Vertrauen in das ganze Sozialversicherungssystem in Frage stellen. Die Rechtssicherheit ist ein hohes Gut. Sie darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, nur um die IV wenige Jahre schneller zu entschulden. Travail.Suisse empfiehlt deshalb dem Ständerat, die Differenz zum Nationalrat aufrecht zu erhalten und auf die Kürzung von laufenden Renten zu verzichten.
Der Nationalrat hat mit klarem Entscheid beschlossen, auf automatische Leistungskürzungen im Falle einer künftigen Verschlechterung der finanziellen Situation der IV zu verzichten. Travail.Suisse begrüsst diesen Entscheid, der dafür sorgt, dass die erste Säule nicht mit unterschiedlich hohen Renten von AHV und IV aufgesprengt wird. Mit der weiter oben erwähnten Aufteilung der Vorlage 6b bestehen für den Bundesrat und das Parlament mit dem zurückgestellten Teil bereits Anhaltspunkte, was im Falle einer Verschlechterung der finanziellen Situation zu tun ist. Travail.Suisse fordert den Ständerat deshalb auf, dem Nationalrat zu folgen.
Nationalrat – Postulat SGK-NR. Soziale Auswirkungen der festen Altersgrenze für Ausbildungszulagen (12. 3973): Das Postulat verlangt vom Bundesrat die Wirkungen der heute im Familienzulagengesetz verankerten oberen Altersgrenze von 25 Jahren für den Bezug von Ausbildungszulagen zu analysieren und wenn nötig Verbesserungsvorschläge zu machen. Travail.Suisse empfiehlt die Annahme des Postulats. Heute fallen viele Ausbildungsabschlüsse auf die Altersgruppe der 25- bis 29-jährigen. Mit der wachsenden Ausbildungsdauer ist die starre Alterslimite nicht mehr zeitgemäss. Insbesondere auch in der höheren Berufsbildung und an Fachhochschulen dauern Ausbildungen über das 25. Altersjahr hinaus. Berufsleute, die ihre Erstausbildung fortsetzen, sollten punkto Ausbildungszulagen gleich behandelt werden wie alle anderen. Mit der heutigen Regelung ist dies nicht der Fall. Immer mehr Familien erhalten für ihre sich noch in Ausbildung befindlichen Kinder keine Ausbildungszulagen. Das ist nicht im ursprünglichen Sinne des Gesetzes.
Nationalrat – Motion SGK-NR. Vorsorgeschutz von Arbeitnehmenden mit mehreren Arbeitgebern oder mit tiefen Einkommen (12.3974): Die Motion fordert den Bundesrat auf, im Rahmen der kommenden Revision der Altersvorsorge Massnahmen aufzuzeigen, welche die Vorsorgesituation von Arbeitnehmenden mit mehreren Arbeitgebenden und von Arbeitnehmenden mit tiefen Einkommen verbessert. Travail.Suisse unterstützt wie der Bundesrat die Motion. Heute werden Arbeitnehmende mit mehreren Arbeitgebern im BVG oft nicht versichert, wenn keiner der Löhne die Eintrittsschwelle von heute CHF 21‘060.00 allein überschreitet. Für Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen ist die heute angestrebte Ersatzquote von 60 Prozent des letzten Brutto-Lohnes zu tief, um ihren gewohnten Lebensstandard nach der Pensionierung weiterführen zu können. Um sicher zu stellen, dass diese Einkommensklassen bei einer vollen Beitragsdauer ihren gewohnten Lebensstandard weiter führen können, braucht es gezielte Massnahmen in der AHV.
Bildungspolitik
Nationalrat – Aus- und Weiterbildungskosten. Steuerliche Behandlung. Bundesgesetz (11.023): Grundsätzlich hätte Travail.Suisse für eine moderne Finanzierung der Aus- und Weiterbildung lieber eine Lösung mit Hilfe von Bildungsgutscheinen als mit Steuerabzügen gesehen. Kommt es aber zur Abstimmung über Steuerabzüge, favorisiert Travail.Suisse die bundesrätliche Lösung.
Gleichstellungspolitik
Ständerat – Motion Simoneschi-Cortesi. Lohngleichheit von Frauen und Männern. Kontrollmechanismus (10.3934): Die Motion zielt auf eine Änderung des Gleichstellungsgesetzes und die Einführung eines Kontrollmechanismus für die Löhne, und zwar nach dem Modell der Kontrollmechanismen, die es in anderen Gesetzen im Bereich der Arbeit bereits gibt. Die Motion wurde vom Nationalrat am 10. September 2012 angenommen. Die Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur des Ständerates beantragt, die Behandlung der Motion für mehr als ein Jahr auszusetzen. Der Ständerat wird in der zweiten Sessionswoche über diesen Vorschlag entscheiden. Das Hauptargument, mit dem die Kommission die Aussetzung begründet, ist das Anliegen, dem Lohngleichheitsdialog, für den sich neben den anderen Sozialpartnern auch Travail.Suisse einsetzt, nicht zu schaden. Travail.Suisse ist indes der Meinung, dass wenn die freiwillige Selbstkontrolle der Löhne durch die Unternehmen die gesetzten Ziele nicht erreicht, gehandelt werden muss, namentlich indem ein Kontrollmechanismus für die Löhne im Gesetz verankert wird.
Steuerpolitik
Ständerat – Mo. Fetz. Offensive Verhandlungen für einen steuerkonformen Finanzplatz unter Einbezug des Marktzutritts für schweizerische Verhandlungen (12.4138): Der automatische Informationsaustausch setzt sich international immer mehr als Standard durch. Aufgrund dieser Entwicklung ist die Motion zu unterstützen. Die Schweiz muss eine Strategie erarbeiten, die dafür sorgt, dass sie nicht wie beim Bankgeheimnis von aussen zur Übernahme neuer Standards gezwungen wird, und die gleichzeitig bessere Rahmenbedingungen für den Markzugang der Schweizer Banken in anderen Ländern schafft.
Ständerat – Po. Levrat. Umfassende Analyse der Einführung der Finanztransaktionssteuer in verschiedenen EU-Staaten (12.4145): Travail.Suisse hofft, dass der Ständerat nicht eine dogmatische, sondern eine pragmatische Position einnehmen und dem Postulat zustimmen wird. Elf EU-Länder, unter anderem Deutschland und Frankreich, wollen eine solche Steuer einführen. Es ist deshalb sinnvoll, in einem ersten Schritt die Auswirkungen dieser Steuer auf ein Land wie die Schweiz zu prüfen, das über einen sehr bedeutenden Finanzplatz verfügt. Umso mehr, als Schweizer Finanzinstitutionen in gewissen Fällen kaum an dieser Steuer vorbeikommen dürften, insbesondere bei Transaktionen mit Instituten aus EU-Ländern, die eine solche Steuer anwenden werden.
Nationalrat – Pa. Iv. FDP-Liberale Fraktion. Stempelsteuer schrittweise abschaffen und Arbeitsplätze schaffen (09.503): Travail.Suisse hat sich bereits in der Vernehmlassung für die Ablehnung dieser parlamentarischen Initiative ausgesprochen. Die Steuereinbussen sind zu hoch, und es ist mehr als zweifelhaft, ob damit Arbeitsplätze geschaffen werden.
Nationalrat – Mo. Ständerat (WAK-S). Kapitaleinlageprinzip (12.3972): Der Bundesrat hat sich für die Motion ausgesprochen. Travail.Suisse hofft, dass der Nationalrat ebenso entscheiden und damit Steuerausfälle infolge der Unternehmenssteuerreform II kompensieren wird, die wesentlich höher ausgefallen sind als vorgesehen.
Energiepolitik
Nationalrat – Neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien (12.064, Cleantech Initiative): Die Cleantech Initiative ist etwas ehrgeiziger als die Energiestrategie 2050, da sie verlangt, bis 2030 mehr als die Hälfte des Energiebedarfs der Schweiz durch erneuerbare Energien zu decken. Sie hat auch den Vorteil, dass der Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Aspekten und der Schaffung von Arbeitsplätzen im Cleantech-Sektor liegt, was in der Strategie 2050 nur am Rande der Fall ist. Die Cleantech Initiative wird für einen Innovationsschub sorgen und ist als Chance für die Schweizer Wirtschaft zu sehen. Travail.Suisse hofft, dass sich im Nationalrat eine Mehrheit für die Initiative findet.
Ständerat – Mo. UREK-N. Umbau der KEV (12.3663) und moderate KEV für die Industrie (12.3664): Die erstgenannte Motion zum Umbau der KEV wurde vom Nationalrat gutgeheissen. Der Bundesrat hat sie ebenfalls positiv beurteilt, da sie die Vorgaben der Energiestrategie 2050 vorwegnimmt. Travail.Suisse hätte sich grundsätzlich damit einverstanden erklären können. Weil jedoch die Energiestrategie 2050 die Solarenergie gegenüber anderen erneuerbaren Energien durch eine starke Beschränkung der Produktionskapazität weiterhin benachteiligt, beurteilt Travail.Suisse diese Motion nun negativ und empfiehlt dem Ständerat, diese abzulehnen. Die zweitgenannte Motion wurde vom Nationalrat knapp abgelehnt. Travail.Suisse fordert den Ständerat auf, diese ebenfalls abzulehnen, da sie ohne Grund die gesamte Industrie begünstigt und Ertragsausfälle von rund 100 Millionen Franken zur Folge hätte. Bereits heute sind energieintensive Unternehmen von der KEV ausgenommen.
Nationalrat – Pa. Iv. UREK-N. Freigabe der Investitionen in erneuerbare Energien ohne Bestrafung der Grossverbraucher (12400): Diese Initiative war Gegenstand einer Vernehmlassung, in der sich Travail.Suisse unter Vorbehalt einiger Änderungen positiv äusserte. Dieser annehmbare Kompromiss ermöglicht es, die erneuerbaren Energien schneller zu fördern, indem die Mittel für die KEV aufgestockt werden, und gleichzeitig etwas mehr Flexibilität bei Unternehmen mit hohem Energieverbrauch zu zeigen.
Migrationspolitik
Nationalrat – Pa. Iv. Keine Einbürgerung ohne vorher erteilte Niederlassungsbewilligung (06.485): Travail.Suisse empfiehlt diese zu strenge parlamentarische Initiative zur Ablehnung. Nur weil ein Missbrauch bei einer Minderheit ausländischer Personen besteht, ist es nicht gerechtfertigt, vielen anderen die Einbürgerung zu verwehren, welche die im Bürgerrechtsgesetz geforderte Aufenthaltsdauer in der Schweiz erfüllen, aber noch keine Niederlassungsbewilligung besitzen.
Internationale Politik
Ständerat – Po. Comte. Umsetzung der Leitlinien von John Ruggie (12.4100): Travail.Suisse empfiehlt dieses Postulat zur Annahme. Mit der Erarbeitung einer Strategie auf der Grundlage der Richtlinien, die John Ruggie für die UNO entwickelt hat, kann die Schweiz für eine bessere Einhaltung der Menschenrechte sorgen, sowohl in Schweizer Unternehmen mit Niederlassungen im Ausland als auch durch den Staat bei internationalen Verhandlungen, beispielsweise bei der Erarbeitung von Freihandelsabkommen. Geschädigte Personen sollten mehr Möglichkeiten haben, Wiedergutmachungen zu erhalten. In einer immer stärker globalisierten Wirtschaft, in der das Bewusstsein für Menschenrechte zunimmt, wird eine solche Strategie auch das internationale Image der Schweiz positiv beeinflussen.
Nationalrat – Po. APK-N. Rechtsvergleichender Bericht. Sorgfaltsprüfung bezüglich Menschenrechte und Umwelt im Zusammenhang mit den Auslandaktivitäten von Schweizer Konzernen (12.3980): Der Bundesrat hat sich für das Postulat ausgesprochen. Wenn die Schweiz prüft, wie andere Staaten die Verwaltungsräte international tätiger Unternehmen dazu verpflichtet, hinsichtlich der Menschenrechte und der Umwelt verantwortungsvoll zu handeln, bietet ihr dies Gelegenheit, die Unternehmensführung von Schweizer Firmen in diesem Bereich zu verbessern.